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Bergsteiger-Oper «Eiger» am Theater Orchester Biel Solothurn
Aus Kultur kompakt vom 20.12.2021. Bild: SRF / Sebastien Thibault
abspielen. Laufzeit 19 Minuten 58 Sekunden.

Uraufführung von «Eiger» Diese Kletteroper ist ein echter Knüller

Bergsport ist im Trend: Das haben auch die Theater und Konzerthäuser erkannt. Jetzt bringt das Theater Orchester Biel Solothurn ein Kletterdrama auf die Opernbühne.

Musikalische Gipfelstürme gab es bereits 1915: Die «Alpensinfonie» von Richard Strauss ist eine Hommage an die Schönheit der Berge. 1921 schreibt Paul Hindemith eine der ersten Filmmusiken für einen abendfüllenden Bergfilm. 2018 wird am Theater St. Gallen ein «Matterhorn-Musical» uraufgeführt.

Etwas allerdings hat vor dem Theater Orchester Biel Solothurn bisher noch niemand gewagt: eine Oper in der Vertikalen.

In der Vertikalen

«Eiger» von Tim Krohn und Fabian Müller spielt, wie der Name suggeriert, an der Eigernordwand. Dort ist die Luft dünn, der Atem schwer. Eine Seilschaft hängt in der Vertikalen, kämpft gegen Eis- und Steinschlag.

«Steine!», ruft einer. «Alles heil!», antwortet ein anderer. Vier Bergsteiger versuchen mit einfachsten Mitteln die Eigernordwand zu bezwingen. Abenteuerlust, Risikofreude und Ehrgeiz treiben sie an.

Zunächst läuft alles gut. Den vier Draufgängern gelingt eine spektakuläre Querung in der Wand. Doch plötzlich kommt ein Sturm auf. Den Bergsteigern gehen die Haken aus, einer von ihnen wird von einem fallenden Stein am Kopf verletzt. Raubvögel kreisen über dem Abgrund wie mahnende Vorboten. Die Kräfte schwinden.

Bergsteiger laufen vorne in Reihe, schauen hinter zu riesigem Fenster auf Berg hinaus
Legende: Vier Bergsteiger wollten 1936 den Eiger bezwingen. Ein Kletterdrama, das tödlich endet. TOBS / Suzanne Schwiertz

Biwak, Seil und Karabiner

Das Kletterdrama, das auf der Bühne des Stadttheaters in Biel erzählt wird, geht auf den Durchsteigungsversuch der Eigernordwand im Jahr 1936 zurück. Er endet für die Deutschen Andreas Hinterstoisser und Toni Kurz sowie die Österreicher Edi Rainer und Willi Angerer tödlich.

Der Stoff ist vielschichtig und wie gemacht für die Opernbühne. Denn die Eigernordwand ist zu jener Zeit nicht nur Bühne persönlicher Dramen, sondern auch Arena massenmedial geschürter Sensationsgeilheit und Projektionsfläche politischer Systeme. Denn das Naziregime würde sich den Erfolg der ersten Besteigung nur zu gerne auf die eigene Fahne schreiben.

Die tragische Geschichte geht unter die Haut. Doch im Libretto von Autor Tim Krohn finden auch Humor und die Liebe Platz. Die Musik des Komponisten Fabian Müller klingt erhaben und schön, aber auch dramatisch. Eine Mischung aus Spätromantik, beinahe atonalen Klängen und Filmmusik.

Ein Viertausender auf kleiner Bühne

Glücklicherweise wurde gar nicht erst versucht, den Eiger physisch auf die kleine Bühne des Stadttheaters in Biel zu bringen. Stattdessen blickt das Publikum in der Inszenierung von Regisseurin Barbara-David Brüesch von den Fenstern eines Bergrestaurants aus auf den majestätischen Berg.

Die Fensterrahmen werden zur Kletterwand der vier Sänger. Oben lauert der Tod im Eis, unten verfolgen Touristen mit Feldstechern das Drama. Die Geschichte spielt auf verschiedenen Zeitebenen, die sich mehr und mehr überlagern.

hinter Rahmen hängen zwei Männer an Seilen, vorne hält ein Mann einen umgedrehten Tisch
Legende: Ein Sturm kommt auf – die Kletterer geraten in Not. TOBS / Suzanne Schwiertz

Auf diese Weise bricht das Bühnenbild (von Alain Rappaport) mit dem Realismus des Librettos und hinterfragt kritisch die Schaulust der damaligen und heutigen Zuschauenden.

Die Kostüme betonen den Kontrast: Sabine Blickenstorfer hat die Alpinisten im Look der 1930er Jahre ausgestattet, die Touristen tragen moderne Funktionskleidung.

Ein Stück Unsterblichkeit

In Biel ist etwas Eindrückliches, Grosses entstanden. «Eiger» ist eine mächtige und schauerliche Oper, die den Sängern in den rund eineinhalb Stunden nicht nur schauspielerische und gesangliche Höchstleistungen abverlangt, sondern auch zum sportlichen Kletter-Kraftakt wird, den sie mit Bravour meistern.

Die vier jungen Bergsteiger wollten 1936 über sich hinauswachsen und vielleicht auch ein Stück Unsterblichkeit erlangen. Es ist ihnen in gewisser Weise gelungen. Noch heute heisst ein Quergang in der Eigernordwand «Hinterstoisser-Quergang». Zahlreiche Filme erzählen ihre Geschichte. Mit der Oper «Eiger» wurde ihnen jetzt sogar ein musikalisches Denkmal gesetzt.

Stückhinweis

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Die Bergsteigeroper «Eiger» vom Theater Orchester Biel Solothurn ist im Januar in Biel und in Solothurn zu sehen, Auswärtsvorstellungen finden ausserdem in Burgdorf, Schaffhausen und Olten statt. Weitere Informationen zu den verschiedenen Terminen gibt’s online unter: www.tobs.ch

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 20.12.2021, 08:06

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