Er sei gänzlich «unbefleckt» nach Einsiedeln gekommen, beteuert der Schriftsteller Lukas Bärfuss. Er zeichnet für den neuen Text des alten Moralspiels «Grosses Welttheater» von Pedro Calderón de la Barca, das in diesem Jubiläumssommer vor der barocken Klosterkirche in Einsiedeln zur Aufführung kommt.
Hundertjährige Aufführungsgeschichte
Das Einsiedler Welttheater hat eine wechselvolle Geschichte. Zuerst spielte es ganz im neobarocken Stil. Es wechselte vom Bühnendeutschen in die Schweizer Mundart.
Es gab Streit, was für eine Bedeutung der barocke Text noch haben könne. Seit der Jahrtausendwende gibt es deshalb neue Fassungen namhafter Schriftsteller – nun eben Lukas Bärfuss.
«Dieses Theater ist nicht auf der Bühne geblieben», sagt er. «Es hat sich ins Leben geweitet und ist zu einem Stück meines Herzens und meines Lebens geworden.»
Acht Jahre schon lebt er mit dem Einsiedler Welttheater. Seine Fassung sollte vor vier Jahren herauskommen, dann kam die Pandemie. Nun ist es endlich soweit.
Ein Protestant im katholischen Theater
Die theatrale katholische Kultur sei ihm ursprünglich fremd, gesteht Bärfuss: «Ich komme aus einem Rückzugsgebiet des Protestantismus, dem Berner Oberland». Er hatte das Welttheater in Einsiedeln vorher noch nie besucht.
Letzten Endes sei dies wohl ein Vorteil: «Der fremde Blick, das Befremden über diese Welt und das Staunen darüber sind eigentlich gute Ausgangspunkte, um ein Stück zu schreiben.»
Aus alt mach neu
Bärfuss' neues Welttheater sei ein Stück darüber geworden, welche Rolle jemand spielt. «Das ist eine Frage, die sich jedem Menschen in jeder Generation neu stellt.» Die barocke Welt war eine Welt der starren Hierarchien.
«Zur Zeit von Calderón wurde man in eine Rolle geboren und entkam ihr ein Leben lang nicht. Man wurde als Kind von Bauern geboren und war dann Bauer.» Heute haben wir – zumindest in den emanzipatorischen Bewegungen – ein anderes Verständnis von Individualität und Lebensgestaltung.
«Wenn wir mit uns selbst ehrlich sind, wissen wir, dass wir uns unsere Rolle trotzdem nicht selber geben können», so Bärfuss. «Auch wir haben existenzielle Bedingungen. Wir werden durch unsere Geburt in eine Gesellschaft und eine Zeit geworfen und werden nicht befragt, ob wir das wünschen oder nicht.»
Wer bin ich in einer orientierungslosen Welt?
Bärfuss betont, «dass wir unsere Rolle nur dann spielen können, wenn die anderen Menschen uns darin akzeptieren. Gerade in einer Gesellschaft, die sehr viel Orientierung verloren hat, sei das eine sehr aktuelle Frage.
Dem sozialen Auseinanderdriften gegenüber sieht Lukas Bärfuss nicht zuletzt das Theater als Ort, an dem die Gesellschaft zusammenkommt.
Er begreift das Theater als Fest: «Wir machen ein Welttheater und wir machen ein Fest. Eine Feier, zu der wir alle einladen.»
Ohne die Einsiedler Bevölkerung geht gar nichts
Die Begeisterung der Einsiedlerinnen und Einsiedler für ihr Welttheater sei einzigartig, findet Bärfuss. «Sie machen das alle freiwillig und wirklich mit ihrer ganzen Existenz. Da gibt es Menschen, die sind zum achten Mal dabei, das heisst seit 80 Jahren!»
Dass eine Gesellschaft sich so sehr einer gemeinsamen Sache verschreibt, ist für Bärfuss «wirklich utopisch». Denn: «Es gibt den Regisseur, es gibt den Autor und es gibt das Spielvolk. Aber machen können wir das alle nur gemeinsam. Es braucht alle, zu jedem Zeitpunkt. Das ist eine Definition von Demokratie.»