Auf der Bühne ist alles möglich, es herrschen Fantasie und Illusion. In Opern singen Männer seit jeher manchmal weibliche Rollen – und Frauen männliche.
Schon Monteverdi ging es vor 400 Jahren in erster Linie um den Klang der Stimmen, nicht um das Geschlecht der Singenden. So können Liebesduette, in denen sich zwei hohe Stimmen eng umschlingen, besondere Verbundenheit und Innigkeit vermitteln.
Stimme oder Geschlecht: Was zählt?
Für manche hört heutzutage die Opern- und Stimmen-Fantastik allerdings auf, wenn eine Transperson auf der Opernbühne steht: eine Transfrau mit tiefer oder ein Transmann mit hoher Stimme.
Die Heldenbaritonistin Lucia Lucas hat eine raumgreifende und tiefe Stimme, ideal für Partien wie Falstaff oder Wotan. Sie füllt damit die grössten Opernsäle der Welt, unter anderem die Metropolitan Opera in New York.
Doch Lucas musste sich gegen transphobe Vorurteile wehren, als sie sich vor knapp zehn Jahren geoutet hatte. Als sie den Mann, für den sie von anderen immer gehalten wurde, im realen Leben nicht mehr spielen wollte.
Vom Publikum gefeiert, intern diskriminiert
Lucia Lucas ging im glamourösen Abendkleid an den Opernball des Staatstheaters Karlsruhe, was nicht allen gefiel. Der damalige Intendant unterstütze sie, aber nach einem Intendantenwechsel wurde ihr Vertrag nicht verlängert. Unter anderem mit der Begründung, sie müsse einen «richtigen Mann» auf der Bühne spielen.
Während Lucas vom Publikum für ihrer Stimme und ihre darstellerische Kraft gefeiert wurde, bekam sie die Unbeholfenheit der Musikkritik zu spüren. Rezensionen drehten sich zuweilen weniger um ihren Gesang oder ihre Kunst als um ihre Identität.
Lucia Lucas gehört neben Adrian Angelico aus Dänemark und Sam Taskinen aus Finnland zu den bekannten Transmenschen auf internationalem Top-Niveau in der Opernwelt.
Immer mehr, vor allem jüngere, outen sich: Gemäss einer Studie indentifizieren sich 5,1 Prozent der unter 30-Jährigen als trans oder nonbinär. Trotzdem trauen sich viele nicht, offen so zu leben, wie sie sind. Zu gross ist die Angst vor Anfeindungen, Diskriminierung und Gewalt. Queer- und Transfeindlichkeit nehmen zu, wie etwa der «Hate Crime Bericht» zeigt.
Es tut sich was
Doch in der Kulturszene hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Mit «Pose» erschien 2018 die erste hauptsächlich mit Transmenschen besetzte Serie, Kim de l’Horizon gewann 2022 den Schweizer und den Deutschen Buchpreis und Seit fast 20 Jahren gibt es das Trans Voices Festival in Minneapolis.
Die Bassbaritonistin Sam Taskinen erkennt Veränderungen im Opernbetrieb. Vieles sei besser geworden für Transgender und Nonbinäre, wenngleich auch sie sich mit ihrer tiefen und sonoren Stimme Vorurteilen ausgesetzt sieht.
Taskinen musste sich mit unsachlichen Kritiken herumschlagen, wird manchmal mit «er» angesprochen oder muss erklären, dass ein transweiblicher Körper einen andern Kostümzuschnitt braucht als ein männlicher.
Die #Metoo-Debatte habe problematische Machtstrukturen aufgebrochen, von denen auch Transpersonen betroffen waren, sagt Lucia Lucas. Für die jüngere Generation sei Diversität selbstverständlicher.
Sam Taskinen bestätigt, dass es in ihrem Beruf heute einfacher sei als früher, auch dank Lucia Lucas. Sie ist zuversichtlich, dass die Klassik- und Opernwelt bereit ist für mehr Offenheit.