Ihren allerersten Bühnenaufritt als Ensemblemitglied hatte Heidi Maria Glössner am damaligen Stadttheater Bern. Es war ihr 25. Geburtstag und der Tag, an dem Präsidenten-Witwe Jackie Kennedy den griechischen Reeder Aristoteles Onassis geheiratet hat.
«Das werde ich nie vergessen», sagt die Schauspielerin. Denn während die beiden heirateten, spielte Glössner genau die Frau, die vor Jackie Kennedy mit dem griechischen Reeder eine lange Affäre hatte: Opernsängerin Maria Callas.
Das Stück hiess «Meisterklasse». Die tragische Geschichte der Callas, die habe sie tief berührt, sagt Glössner. Vor allem aber habe sie die bedingungslose künstlerische Leidenschaft, welche der Callas zu eigen war, beeindruckt: «Diese Leidenschaft in der Musik, da kriege ich Hühnerhaut.»
Die Leidenschaft für den Beruf
Glössner wurde 1943 im deutschen Messkirch geboren. Aufgewachsen ist sie aber in Uzwil. Ihr Beruf hat sie in jungen Jahren nach Bern gebracht, und dort ist sie bis heute fest verwurzelt. Sie hat das Glück, in der Altstadt ein wunderschönes Zuhause zu haben mit Blick auf die Aare und auf das Konzert Theater Bern, wie das Stadttheater nunmehr heisst.
Dreissig Jahre lang war sie hier festes Ensemblemitglied. «Eine furchtbar lange Zeit», sagt mit ihrem hinreissenden Lachen. Im November beginnt sie mit den Proben zu «Das Missverständnis» von Albert Camus.
Daneben meistert sie Auftritte an Lesungen und spielt ihre «Plauderei am Klavier» – ein Solo über Marlene Dietrich. Dass die Burgergemeinde Bern ihr soeben die Ehrenmedaille übergeben hat, freut Heidi Maria Glössner besonders. «Es ist schön, in dieser Stadt, in der ich mich anfangs sehr einsam gefühlt habe, so integriert zu sein.»
Zwei Enkelinnen und Regisseure, die ihre Kinder sein könnten
Beruflich ist bei der 75-jährigen Schauspielerin einiges los. Auch privat ist die Grossmutter zweier Enkelinnen gefordert. «Wir hängen sehr aneinander» meint Heidi Maria Glössner, die mit den kleinen Mädchen zum Schwimmen geht und sie danach in die Gelateria di Berna entführt.
Dass sie es auf der Bühne oft mit Regisseurinnen und Regisseuren zu tun hat, die ihre Kinder sein könnten, ist für sie kein Problem. Der Blickwinkel jüngerer Generationen auf den Beruf interessiert sie: «Ich bin ein neugieriger Mensch und zu jeder Verrücktheit bereit, es muss aber um die Geschichte gehen.»
Fünf Jahrzehnte Bühnenpräsenz
Letztes Jahr spielte sie in «Alzheim» eine demente Seniorin. Das hat sie dazu angeregt, ihr eigenes Älterwerden zu reflektieren. «Alter ist nichts für Feiglinge», heisst es in einem legendären Sprichwort, das Mae West zugeschrieben wird. Glössner zitiert es zustimmend, mit diesem eleganten Schalk, der sie so unvergleichlich macht. «Ich vergesse zwar Namen ohne Ende. Aber wenn ich eineinhalb Stunden allein auf der Bühne stehe, habe ich bislang kein Wort Text vergessen.»
Sie hat fünf Jahrzehnte auf der Bühne verbracht und viele Regiegrössen, Spielweisen und Moden kennen gelernt. Dass das Theater verschwinden könnte, glaubt sie nicht. Die leuchtenden Gesichter unten im Zuschauerraum, die sie so oft gesehen hat, dürften ihr recht geben.