Früher qualmten sie alle: Marlene Dietrich, Humphrey Bogart, Sean Connery. Der Bond-Darsteller sogar im Smoking. Die ersten hundert Jahre Filmgeschichte sind ohne rauchende Stars undenkbar.
Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts änderte sich das gesellschaftliche Klima. Der Marlboro-Mann, der die Werbung seit den 50ern dominiert hatte, verlor massiv an Strahlkraft – nachdem gleich drei prominente Werbeträger der Zigarettenmarke zwischen 1987 und 1995 an Lungenleiden verstorben waren.
Als im beginnenden 21. Jahrhundert niemand mehr die Schädlichkeit des Rauchens bestreiten konnte, drehte auch im Kino der Wind. Von nun an galt das Credo: Paffen ist nicht cool, sondern gemeingefährlich.
Nuggi für den Macho
Heute leben wir im Zeitalter der Gesundheits-Apps, mit denen sich der brave Bürger freiwillig selbst optimiert. Damit er auch Mitte 50 noch so viel Jugendlichkeit verströmt wie Saubermann Tom Cruise.
Früher war nicht alles besser. Sondern dreckiger. Brando, Belmondo und Eastwood definierten mit der Fluppe im Mundwinkel breitenwirksam die Konturen der Maskulinität. Rückblickend wirken sie wie kleine Jungs, die ihre Glimmstängel bewundern: Seht her, meiner ist grösser, dicker, länger!
Gleichzeitig signalisierten sie: Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Wo Feuer ist, ist Gefahr. Und Dinge, die symbolisch Gefahr verströmen, sind bekanntlich von Filmemachern heiss begehrt.
Im heutigen Kino gehört Quentin Tarantino zu den wenigen, die immer noch ungeniert diesen Effekt ausreizen. Brad Pitt wirkt als ständig qualmender Stuntman in «Once Upon a Time in Hollywood» darum ungewohnt archaisch.
Orales Vergnügen für die Sünderin
Ist die Zigarette filmhistorisch somit als patriarchales Zeichen zu deuten? Nur bedingt. Während Männer das phallische Objekt dazu nutzten, um ihre Maskulinität zu pimpen, betonten Frauen andere, oft subtilere Bedeutungsfacetten.
Schon in den 1910er-Jahren frequentierten rauchende Rebellinnen die Leinwand. Sie waren die Vorläuferinnen der sogenannten «Flappers», die in den 20er Jahren mit kurzen Haaren und noch kürzeren Röcken für Furore sorgten: Sie hörten Jazz, schlürften Cocktails und rauchten, was das Zeug hielt. Eine Dekade später wurde die selbstbewusste Geniesserin zur teuflischen Sünderin umgedeutet: zur «Femme fatale».
In den 30ern erreichte die Zigarette als schauspielerisches Ausdrucksmittel ihren Zenit. Marlene Dietrich verlieh dem oft sexuell konnotierten Stäbchen eine fast schon magische Qualität. In Dietrichs Händen gewann der glühende Zauberstab an Präsenz. In ihrem Mund wuchs er förmlich über sich hinaus.
Zum Sterben schön
Heutzutage kommt die Kippe im Film fast nur noch als bewusst gesetztes Zeitzeichen vor. Rauchen dürfen nur noch diejenigen, die sich in einem historischen Kontext oder einem offensichtlich künstlich konstruierten Kinokosmos befinden.
Eigentlich schade. Zumal das Lichtspielhaus der Zigarette und deren Bedeutungsvielfalt lange als natürlicher Zufluchtsort gedient hatte. In der sich Cinephile in der «Semiotik des Rauchens» schulen konnten, wie Filmkritiker Georg Seesslen einst treffend festhielt.
Denn in einem Punkt sind sich alle einig: Fotogen ist sie, die Zigarette. Als kinematographisches Ausdrucksmittel wird sie darum nie an Reiz verlieren. Auch wenn die Zigi in der Corona-Krise total anachronistisch wirkt: wie eine Sünde aus längst vergangenen Zeiten.