Vom angestrebten Frieden ist der Nahe Osten derzeit weit entfernt. Die Terrorattacke der islamistischen Hamas vom 7. Oktober 2023 auf Israel hat alte Wunden aufgerissen und zu heftigen Reaktionen geführt. Laut den Vereinten Nationen wurde die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland seit diesem Schreckenstag über 1500-mal von Angriffen jüdischer Siedler heimgesucht.
Keine Angst vor Kontroversen
So kann's nicht weitergehen, findet Michel Rappaport, Direktor der Yesh!-Festivals, das seit zehn Jahren dem Zürcher Kinopublikum die jüdische Filmwelt näherbringt. Bei der diesjährigen Programmierung wurde daher besonders darauf geachtet, auch palästinensischen Perspektiven Platz einzuräumen. Kein Film verkörpert diesen Anspruch so exemplarisch wie die Doku «No Other Land».
Die palästinensisch-norwegische Koproduktion ist ein aktivistischer Film, der die Vertreibung der muslimischen Bevölkerung aus dem Gelobten Land anprangert. Dass eine solche Doku, die vielen Israeli ein Dorn im Auge ist, an jüdischen Filmtagen gezeigt wird, untermauert die Aufgeschlossenheit des Yesh!-Festivals.
Dessen Direktor bezeichnet «No Other Land» als «wunderbaren, sehr kritischen Film», weil er Siedlungspolitik und Armeegewalt hinterfrage. Trotzdem handle es sich um ein «positives Projekt», da es gleichzeitig von einer jüdisch-muslimischen Freundschaft erzähle. In der Tat wird der Palästinenser Basel (Adra), der die Besetzung des Westjordanlands filmisch festhält, vom Israeli Yuval (Abraham) unterstützt.
Der Schock sitzt tief
Letzterer greift zu einem vorbelasteten Wort, um das Unrecht zu benennen: Apartheid. Michel Rappaport versteht die umstrittene Wortwahl: «Weil es in der Westbank tatsächlich zwei Rechtssysteme gibt. Nur die israelischen Siedler profitieren von den Bürgerrechten. Für die Palästinenser gilt dagegen Militärrecht.» Vor diesem Hintergrund kämpft der Muslim Basel an der Seite des Juden Yuval für Frieden und gleiche Rechte.
Gewaltfreier Widerstand wie dieser macht Hoffnung. Und die ist derzeit rar angesichts der jüngsten Gewalteskalation. Yesh!-Gründer Rappaport beschreibt die Gemütslage so: «Nach dem 7. Oktober mussten wir uns zuerst wieder sammeln. Wir waren alle schockiert, auch deprimiert. Und haben uns gefragt: Hat das überhaupt Sinn gemacht, was wir da zehn Jahre getan haben?»
Jetzt erst recht
Seit jeher stehen die Filmtage Yesh! zu ihren fortschrittlichen Werten: Ausgleich, Toleranz und Diversität. Davon abzurücken, kommt trotz mehr Kriegssorgen und Sicherheitsmassnahmen im Jubiläumsjahr nicht in Frage. Statt den Kopf in den Sand zu stecken, lädt das Festival mit vielen Gastgesprächen sowie einem Podium zum Thema «Film und Konflikt» zum Mitdiskutieren ein.
Apropos Vielfalt: Die bringt das Programm perfekt auf den Punkt. Nebst schwerer Dokus und Dramen werden auch herzerwärmende Komödien und Liebesfilme gezeigt. Auf dass die zwischenmenschliche Stimmung als Friedensgrundlage wieder besser werde. Schliesslich wäre es schön, wenn der hebräische Ausruf «Yesh!» irgendwann zur weltpolitischen Wirklichkeit passen würde. Er bedeutet nämlich: «Wir haben es geschafft!»