«Ich weiss gar nicht mehr, wo ich zuhause bin», sagt einer. «Schaff dir eine Katze an – ich lerne grad ukrainisch und ein ukrainisches Sprichwort sagt, zuhause ist dort, wo deine Katze ist», scherzt sein Mitbewohner. Die zwei Männer wohnen vorübergehend im DOM, einer Unterkunft für geflüchtete junge Russen in der georgischen Hauptstadt Tiflis.
«Zuhause» auf Russisch
«Dom», das heisst Haus auf Russisch. Die Menschen, die hier zusammentreffen, sind Journalisten, Frauenrechtlerinnen, Nawalny-Unterstützer.
Der zitierte heimatlose Mann ist oppositioneller Politiker und wurde als «ausländischer Agent» gelistet. Es ist 2022, die Geflüchteten sind im Internet unterwegs, schreiben Artikel, suchen per Telefon gefährdete Freundinnen und Verwandte in Russland, vernetzen Oppositionelle aus der Ferne.
Power gegen Putin
Am grossen Tisch wird über den Krieg diskutiert. Aber die mehrheitlich jungen Menschen leisten nicht nur digitalen Widerstand. Sie führen in Tiflis auch Protestaktionen und Performances gegen Putin und diesen Krieg durch.
Zu Beginn des Films ist trotz Angst, Bedrückung und Ratlosigkeit über den Krieg und die unsichere Situation wenn auch nicht richtig Optimismus, so doch Tatendrang zu spüren. Einige Menschen, denen der Film folgt, finden eine Wohnung, andere reisen weiter.
Je weiter der Krieg fortschreitet, desto mehr macht sich Desillusionierung breit. Und die Einsicht: Auch wenn der Krieg aufhört, zurück können sie nicht, weil sie in Russland gefährdet sind. Aber im Ausland sind sie stigmatisiert und nicht willkommen.
«Ich wünsche mir einfach nur ein friedliches Zuhause», sagt der Mann vom Anfang später im Film noch einmal, «und eine Katze. Aber die kann ich nicht haben, weil ich nicht weiss, was mit ihr passiert, wenn ich ins Gefängnis komme».
Respektvoll aber hautnah
Das Regieduo Svetlana Rodina und Laurent Stoop bietet mit «DOM» einen interessanten Perspektivenwechsel. Wir, die wir diesen Krieg nur aus der Sicht der westlichen Medien kennen, sehen ihn aus den Augen von Russinnen – aber auch diese Innensicht ist in ihrer letzten Konsequenz keine, denn auch die Protagonisten sehen Russland nur noch auf ihren Bildschirmen, im Fernseher und durch Berichte am Telefon.
Nur einmal kommt die Grossmutter einer Journalistin zu Besuch – der Zusammenstoss zwischen der alten Frau, die wie die personifizierte Putin-Propaganda spricht und ihrer Enkelin ist herzzerreissend.
Rodina und Stoop erzählen den Film sehr ruhig und respektvoll, kommen den Menschen sehr nahe, die Kamera verweilt oft auf Händen, auf Gesichtern, auf Menschen, die schweigend, ratlos und sichtlich traurig einfach nur dasitzen.
Heimatlos
Obwohl der Film fern vom Krieg spielt, obwohl die porträtierten Menschen der Gefahr zumindest für den Moment entkommen sind, ist er zuweilen schwer zu ertragen. Weil er einfängt, wie diese jungen, zu Beginn noch engagierten Menschen im Lauf der Monate realisieren, dass sie alles verloren haben, dass sie heimatlos sind. Weil er ihre wachsende Verzweiflung und Verlorenheit spürbar macht.
«Dom» ist ein trauriger Film. Aber einer, der wichtig ist, weil er unsere Wahrnehmung auf das Gut-Böse-Narrativ, das Kriege immer hervorbringen, aufbricht – und einen differenzierten darauf Blick bietet.