St. Gallen im Jahr 1904: Die junge Näherin Frieda Keller tötet ihren nach einer Vergewaltigung unehelich geborenen fünfjährigen Sohn und verscharrt ihn im Wald. Aus Verzweiflung, Scham und Elend.
Als die Leiche gefunden wird, gesteht Frieda sofort: «I bis gsi.» Doch das ist erst der Anfang des Schweizer Dramas «Friedas Fall».
Wie viel Opfer steckt in der Täterin?
Es kommt zum Prozess. Das Strafrechtssystem stösst an seine Grenzen. Es stellt sich die Frage: Wie viel Opfer steckt in der Täterin? War sie eine kaltblütige Kindsmörderin oder Opfer frauenfeindlicher Gesetze? Oder beides?
Die gebrochene Figur fasziniert die Schweizer Hauptdarstellerin Julia Buchmann: Es sei spannend, wie der Film eine Mörderin – eine Mutter, die ihren Sohn umbringt – darstellt, ohne die Tat zu rechtfertigen oder die Frau zu verurteilen. «Diese Ambivalenz finde ich sehr spannend», so die Schauspielerin. Der Film frage: Was ist das für ein Mensch? Die Tat entfachte damals eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über Scham, Moral und Emanzipation.
Originalschauplätze
Gedreht wurde «Friedas Fall» an Originalschauplätzen wie dem Klosterhof St. Gallen. Für die deutsch-schweizerische Regisseurin Maria Brendle, die 2022 mit ihrem Kurzfilm «Ala Kachuu» für einen Oscar nominiert war, ist es der erste Langspielfilm. «Ich hoffe, dass das Publikum aus dem Film die Themen Solidarität und Gleichberechtigung mitnimmt», so Brendle, «und sich Gedanken darüber macht, dass es sich ab und zu doch lohnt, einen Blick hinter die Kulisse eines Menschen zu werfen».
Der Fall ruft Anwälte, Presse und Zivilgesellschaft auf den Plan, die sich darüber streiten, wie viele Rechte einer Frau überhaupt zustehen. Dabei ist Frauensolidarität wichtig: Die Frau des Staatsanwalts unterstützt Frieda gegen ein patriarchalisches Gesellschafts- und Rechtesystem. Damit stellt sie sich ihrem gesetzestreuen Mann entgegen.
Frauenrechts-Debatte durch wahre Geschichte
Die filmische Umsetzung des Dramas basiert auf dem Roman «Die Verlorene» von Michèle Minelli, und berührt deshalb besonders, weil er die wahre Geschichte der Frieda Keller neu erzählt. Keller wurde 1904 für ihren Kindsmord zum Tod verurteilt, dann jedoch «begnadigt» zu lebenslanger Zuchthausstrafe in Einzelhaft.
Ihr Vergewaltiger wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Das damalige Gesetz schützte Verheiratete, welche sich an Frauen vergriffen. Aber das Leiden war nicht umsonst. Frieda Kellers Fall beeinflusste das Strafrechtssystem in der Schweiz. Die Todesstrafe wurde abgeschafft und eine Frauenrechts-Debatte in Gang gesetzt.
«Ich finde es immer sehr wichtig zu reflektieren, was uns zu der Gesellschaft gemacht hat, die wir heute sind», sagt Regisseurin Maria Brendle. «Auch wenn wir Dinge nicht persönlich miterlebt haben, so haben sie doch unseren Alltag und unser Leben geformt. Und unsere heutigen Gesetze und vor allem unseren Stand als Frauen beeinflusst.»
«Friedas Fall» ist ein starkes Stück. Ein wuchtiges Sittenbild, das ein dunkles Kapitel Schweizer Geschichte beleuchtet. Der Film gibt Frida Keller nach 120 Jahren die Chance, gesehen und gehört zu werden.
Kinostart: 23. Januar 2025