Warum betrachten viele Festivals Streaming-Dienste als Bedrohung? Das Kernbusiness von Festivals sind Autorenfilme. Wer möglichst viele sehen will, muss nach Cannes, Venedig oder eben Locarno reisen. So war es zumindest, bevor Streaming-Portale in den Arthouse-Markt eingedrungen sind. Der Online-Dienst MUBI bietet seinem Publikum beispielsweise jeden Tag einen neuen Autorenfilm. Die kuratorische Leistung, die MUBI dabei leistet, ist durchaus mit derjenigen eines Filmfestivals zu vergleichen.
Wo steht Locarno punkto Streaming im internationalen Vergleich? Die Internationalen Filmfestspiele von Venedig bieten ihrem Publikum bereits seit einigen Jahren jeweils eine Auswahl von Titeln online an. Ein solches Angebot fehlt in Locarno. Nur wer in der Filmbranche tätig ist, kann sich über den Webdienst «Festival Scope» eines von 400 Online-Tickets für die Titel der Nebensektion «Cineasti del presente» sichern. Das normale Kino-Volk guckt in Locarno dagegen derzeit noch in die Röhre.
Wieso laufen in Locarno keine Serien? Bei den Filmfestivals von Venedig und Berlin sind hochkarätige Serien längst fester Bestandteil des Programms. Und sogar die Kino-Hochburg Cannes folgte in diesem Jahr zum ersten Mal dem globalen Trend. Nur in Locarno hat es noch nie eine Serie in die Selektion geschafft. Sind Serien hier tabu? Direktor Carlo Chatrian dementiert: «Ich habe nichts gegen Serien. Aber zuerst muss ich eine gute finden. Und dann auch noch den richtigen Rahmen, um sie zu zeigen.»
Welchen Stellenwert werden Serien im Festivalzirkus spielen? Serien haben die Sehgewohnheiten nachhaltig verändert. Mit einem Bedeutungsverlust ist daher nicht so bald zu rechnen. Gehören Filmfestivals und Serien also zusammen? Édouard Waintrop, Leiter der Sektion «Quinzaine» am Filmmfestival Cannes, sieht die Zukunft eher in einem Nebeneinander: «Es wird zu einer Trennung kommen. Schon nächstes Jahr werden neue Festivals auftauchen, die sich exklusiv den Serien widmen. Das grösste wird in Lille stattfinden: ‹Séries Mania›.»
Was hält die Smartphone-Jugend von Locarno? Um herauszufinden, wie Digital Natives ticken, hat das Festival acht von ihnen eingeladen. Gemeinsam bilden sie das «Youth Advisory Board», das Locarno Tipps geben soll. Was muss das Festival tun, um attraktiv zu bleiben? Muss es neue Technologien wie Virtual Reality, Streaming oder die sozialen Medien integrieren? Die Antwort von Felipe Lopez (25) fällt überraschend konservativ aus: «Für mich leistet Locarno grossartige Arbeit. Die müssen sie bewahren. Natürlich darf sich das Festival neuen Technologien nicht verschliessen. Doch im Kern muss es so bleiben, wie es ist.»
Sendung: SRF 1, Filmfestival Locarno 2017 - Das Spezial, 9.8.2017, 22:25 Uhr.