«Sieben Minuten Standing Ovations gab es für ‹Ma Vie de Courgette› bei der Weltpremiere – das haben wir gemessen», erzählt der Schweizer Regisseur Claude Barras im Interview am Strand von Cannes stolz.
Der bewegende Animationsfilm über das Leben eines Waisenjungen lief damals in der renommierten «Quinzaine». Danach gewann er zwei Césars und wurde 2017 für den Oscar und den Golden Globe nominiert. In der Schweiz verkaufte das Stop-Motion-Drama über 179'000 Tickets.
Bereits damals machte der Walliser Regisseur die ersten Skizzen für sein neues Werk «Sauvages». Dieser Film feierte jetzt Weltpremiere in Cannes.
Erneute Standing Ovations
Wieder erntete Barras Film minutenlangen stehenden Applaus: «Das ist das schönste Geschenk, das man erhalten kann, wenn man sein Werk nach sieben Jahren Arbeit erstmals einem Publikum zeigt», freut sich Barras.
«Sauvages» spielt im Regenwald von Borneo, einer Insel in Südostasien. Er erzählt die Geschichte der elfjährigen Kéria, einem rebellischen Mädchen aus der Stadt, das stylische Haarschnitte und Hip-Hop-Musik liebt.
Kéria nimmt ein Orang-Utan-Baby auf, das sie auf der Palmölplantage gefunden hat, auf der ihr Vater arbeitet. Zur gleichen Zeit sucht ihr junger Cousin Selaï Zuflucht bei ihnen, um dem Konflikt zwischen seiner Nomadenfamilie und der Holzfällerfirma zu entkommen.
Gemeinsam trotzen Kéria, Selaï und das Affenbaby Oshi im Dschungel allen Hindernissen, um ihr Land und ihr Volk gegen die fortschreitende Abholzung zu schützen.
Inspiriert von Bruno Manser
Seine Inspiration holte sich Claude Barras von seinen Grosseltern aus den Walliser Bergen. Und von einer Reise nach Borneo, bei der er zehn Tage lang bei den Penan, einer Gemeinschaft von Jägern und Sammlern, lebte. Zudem bewundert der Filmemacher seit seiner Jugend den Schweizer Umweltaktivisten Bruno Manser.
Dieser kämpfte im malaysischen Dschungel mit Leib und Seele gegen die Abholzung und für die Penan. Manser gilt seit 2000 als vermisst, 2005 wurde er für verschollen erklärt.
«Es hat mich sehr berührt, wie die Einheimischen im Dschungel leben und wie man sie aus ihrem Daheim vertreiben will», sagt der Regisseur: «Das hat mich motiviert, mit diesem Film die Botschaft von Bruno Manser zu vermitteln.»
40 Sekunden Film pro Tag
Die Dreharbeiten fanden in einer ehemaligen Fabrik in Martigny statt, wo bis zu 50 Personen an der Stop-Motion-Animation der Puppen arbeiteten. Pro Tag entstanden gerade mal 40 Sekunden Material – so dauerte der Prozess für den anderthalbstündigen Film sieben Monate. Das Budget umfasste rund 13 Millionen Franken, 5 Millionen mehr als beim einstündigen «Ma Vie de Courgette».
«Sauvages» vermittelt die elementare Schönheit der tropischen Wälder mittels betörender Bilder und einem hinreissenden Soundtrack. Das macht die Ausbeutung der Natur und die Vernichtung des Lebensraums der Indigenen umso erschreckender.
Der Film soll aufrütteln, so Claude Barras: «Ich möchte, dass der Film Kinder und Erwachsene motiviert, eine Welt zu schaffen, in der es mehr Gerechtigkeit und weniger Zerstörung der Natur gibt.»
«Sauvage» berührt, ohne moralisierend zu sein. Er kann gerade dadurch seine ökologische Botschaft zur Rettung des Regenwaldes auf fabelhafte Weise transportieren.