Zum Inhalt springen
Video
Zum 125. Geburtstag von Alfred Hitchcock
Aus Kultur Webvideos vom 09.08.2024.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 59 Sekunden.

Alma und Alfred Hitchcock Hinter jedem Hitchcock steckt eine Mrs. Hitchcock

Am 13. August vor 125 Jahren kam Alfred Hitchcock zur Welt. Tags darauf seine Gattin und engste Vertraute: Alma Reville. Sie waren 53 Jahre verheiratet. In dieser Zeit entstanden 53 Filme – die Alma massgeblich mitprägte. Wer war die Königsmacherin?

«Ich weiss gar nicht, warum sie mich geheiratet hat», sagte Alfred Hitchcock in den 1970ern während eines längeren Interviews über seine Karriere. Wohl kaum aus Karrieregründen: Alma Reville war bereits eine etablierte Kraft in der britischen Stummfilmindustrie, als er sie kennenlernte. Er hingegen war ein Anfänger.

Mann schneidet Kuchen neben lächelnder Frau.
Legende: Doppelte Feier: Alfred Hitchcock hat am 13. August Geburtstag, seine Frau Alma einen Tag später, am 14. August. Imago / Ronald Grant

Alma Reville Hitchcock, für das gleiche Gespräch am selben Tisch sitzend, verriet sofort, warum sie sich für eine Beziehung mit ihm entschieden hatte: «Weil ich ältere Männer mochte.»

Die von ihr aufgegleiste Pointe überliess sie dann höflich ihrem Gatten, der nur noch hinzufügen musste: «Das stimmt, ich bin einen Tag älter als sie.» 

Ein eingespieltes Duo

Die Hitchcocks hatten trockenen Humor und konnten sich Witze wie Bälle zuspielen. Kein Wunder: Die beiden hatten zu diesem Zeitpunkt jahrzehntelange Übung im gemeinsamen Durchgehen von Dialogen.

Es gab fast keinen Hitchcock-Film, an dem Alma Reville nicht kreativ oder auch anderweitig mitgewirkt hätte. Das war in der Branche kein Geheimnis. Aber es kursierten Missverständnisse.

Die Gerüchteküche brodelte

Gerücht Nummer eins: Alma Reville manipuliere die Arbeiten ihres Mannes geflissentlich, weil sie nicht selbst auf dem Regiestuhl sitzen dürfe. Falsch!

Gerücht Nummer zwei, noch perfider: Alma Reville sei das wahre Genie im System Hitchcock. Sie treffe alle Entscheidungen im Hintergrund. Genauso falsch!

Sie ergänzten sich

Die filmhistorische Forschung hat es längst bewiesen: Die Hitchcocks verfolgten über 50 Jahre lang ein meist erfolgreiches, gemeinsames Geschäftsmodell, das auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt basierte. Alfred arbeitete im Vordergrund, Alma im Hintergrund.

Glaubt man den Aussagen der beiden, dann ergab sich diese Rollenverteilung aufgrund der persönlichen Vorlieben. Alfred stand gerne an der Front und war froh um Almas Urteilsvermögen in Sachen Inhaltsentwicklung, Dialoge, Kostüme, Cast und Schnitt.

Mann und Frau an einem Schreibtisch mit Schreibmaschine und Dokumenten.
Legende: Gemeinsam tüftelt das Ehepaar Hitchcock an Meilensteinen der Filmgeschichte. Ab den 1940er-Jahren verschwindet Almas Name jedoch zusehends aus dem Filmcredits. Imago / Everett Collection

Alma wiederum genoss es, über Deutungshoheit und Anerkennung zu verfügen, ohne im Rampenlicht stehen zu müssen.

Alma urteilte über alles und Alfred liess das gerne in letzter Instanz geschehen: Dann, wenn möglichst niemand mehr etwas an ihren Vorschlägen ändern konnte. Erst recht nicht ein beteiligtes Studio oder ein involvierter Produzent.

Der Chef blieb Chef, sie machte mit

Der ursprüngliche Ideengeber aber, der fordernde Regisseur auf dem Set, und der alleinige Vermarkter und Markenbotschafter «seiner» Filme und «seiner» Methoden – das blieb Alfred. Dabei hatte er wohlverstanden ein Ass im Ärmel.

Wenn Hitchcock sich in späteren Phasen weit aus dem Fenster lehnte mit der Darstellung von abgründiger Gewalt, von Sex, von Perversionen, von problematischen Frauenfiguren: Dann geschah das nicht nur mit der Einwilligung, sondern mit der expliziten Zustimmung seiner Gattin.

Zwei Personen arbeiten in einem Filmarchiv.
Legende: Helen Mirren und Anthony Hopkins als Alma und Alfred Hitchcock in dem Film «Hitchcock». Keystone / AP Photo / Fox Searchlight, Suzanne Tenner

Reville lehnte Stoffe nicht ab, weil sie diese als zu gewagt empfand. Sie widersprach vorwiegend dann, wenn sie ihr als zu oberflächlich und zu trivial erschienen.

So geschehen bei «The Birds» (1963): Hitch setzte sich in diesem Fall durch, weil ihm vor allem technische Neuerungen vorschwebten.

Warum führte Alma nie Regie?

Reville hatte bei aller öffentlichen Zurückhaltung keine Berührungsängste mit Filmsets: In ihren Anfängen in den 20ern war sie mehrmals Regieassistentin gewesen.

Fragte sie die Presse aber damals, ob sie sich Filme unter eigener Regie vorstellen könne, dann konterte sie schlicht mit dem Hinweis auf ihre Statur: «Ich bin 1,50 Meter hoch. Man sollte grösser sein, um ein Filmset im Griff zu haben.»

Zwischen den Zeilen liest sich heraus: Reville zweifelte nicht an ihren Fähigkeiten, nicht an ihrer Kompetenz und auch nicht an ihrer Autorität. Tatsächlich zögerte Alma zeitlebens selten, aus ihrer Sicht misslungene Drehbücher anzupassen, Fehlentscheide zu korrigieren und hoffnungslose Übungen abzubrechen. Oder kurzfristig Leute auszuwechseln.

Nur brauchte sie dafür keinen Sitz auf einem Kamera-Kran, kein Megafon und keinen Sitz in der Chef-Etage: Sie hatte Alfred.

Person in Mantel und Hut, von anderer Person mit Kamera aufgenommen.
Legende: Alma liess ihren Mann im Rampenlicht stehen – war im Hintergrund aber oft selbst am Drücker. IMAGO / Allstar

Alfred wiederum pflegte von sich zu sagen: Wenn er mit Dreharbeiten beginne, dann habe er schon den gesamten Film vor dem geistigen Auge: Einstellung für Einstellung.

Dass er sich dessen so sicher war, das kam nicht von ungefähr: Alfred hatte zuvor nicht nur seine mehrfach überarbeiteten Drehbücher, sondern auch seine Storyboards der kompetenten Zweitmeinung seiner Ehefrau überlassen.

Trotzdem: Kaum jemand kennt Reville

Im offiziellen Vorspann der Filme erscheint Revilles Name ernüchternd selten, was die Einschätzung ihrer Leistungen erschwert. Hier schafft ein neu erschienenes, lesenswertes Buch Abhilfe, welches auch das bewegte Privatleben des Paares nachzeichnet.

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Thilo Wydra: «Alma & Alfred Hitchcock – Eine Liebe fürs Leben». Heyne, 2024.

Der SRF-Artikel basiert teilweise auf Erkenntnissen des neuen Buches.

Alma selbst unterband es ab 1950 aktiv, namentlich erwähnt zu werden – vielleicht, weil es für ihre Art der Mitwirkung ohnehin keine präzise Bezeichnung gab: Sie intervenierte überall, wo sie ihr Mann darum bat.

Almas Verdienst: der Mord in der Dusche

Verhältnismässig gut dokumentiert ist Almas Einfluss auf die weltberühmte Duschen-Mord-Szene in «Psycho» (1960). Alma soll es gewesen sein, die den Ablauf der rasch aufeinanderfolgenden Einstellungen fixierte.

Alma verhinderte zudem nach der Sichtung des Schnitts von «Psycho» die verfrühte Auslieferung an die Kopierwerke. Eine Einstellung mit Janet Leigh müsse noch entfernt werden, war Revilles Feedback: «Die Leiche atmet noch».

Tatsächlich: Ausser Reville hatte niemand im Vorführraum bemerkt, dass die sonst regungslos liegende Schauspielerin zum Schluss der Szene geblinzelt hatte – auch Hitchcock nicht.

Alma Reville war «Continuity Managerin»

Box aufklappen Box zuklappen

Alma Reville war nicht umsonst so detailversessen. Sie war in der Stummfilmzeit ausgebildet worden als «Continuity Manager».

Konkret war sie seit jeher spezialisiert auf das Erkennen von Anschluss- und Logikfehlern bei Dreharbeiten und auch später im Schnitt. In dieser Funktion war sie auch tätig, als Hitchcock sie kennen, lieben und schätzen lernte.

Ein filmhistorischer Glücksfall

Aber warum heiratete Alma Alfred? Es darf ihr Geheimnis bleiben. Es ergab sich daraus jedenfalls – ungeachtet davon, ob all die Geschichten stimmen – eine über 50-jährige Ehe und eine berufliche Verbindung, ohne die die Filmgeschichte ärmer wäre.

Nicht zuletzt existieren Hitchcocks und Revilles Werke, weil zwei Menschen es zumindest der Legende nach verstanden, sich zeitlebens ehrliche, gewitzte Feedbacks zu geben – teils zu erstaunlich heiklen Themen.

Die Kultur-Highlights der Woche im Newsletter

Box aufklappen Box zuklappen

Entdecken Sie Inspirationen, Geschichten und Trouvaillen aus der Welt der Kultur: jeden Sonntag, direkt in Ihr Postfach. Newsletter jetzt abonnieren.

Radio SRF2 Kultur, Kultur-Aktualität, 13.8.2024, 7:06 Uhr.

Meistgelesene Artikel