Drei Filme mit helvetischer Beteiligung im internationalen Wettbewerb, ein Kurzfilm in der viel beachteten Parallelsektion «Quinzaine» und eine Gala-Premiere ausser Konkurrenz. Das ist mehr, sogar viel mehr als man nach elf mageren Jahren erwarten konnte. 2003 war zuletzt eine Schweizer Koproduktion im Rennen um die Goldene Palme. Diesmal sind es gleich zwei: «Sils Maria» und «Le meraviglie» – das gab es in der 67-jährigen Geschichte des Festivals noch nie. Freude herrscht. Aber nur auf den ersten Blick. Wenn man genau hinschaut, hält sich der Swissness-Faktor der Filme in Grenzen.
Schweizer Spuren in «Sils Maria»
So wurde das Frauen-Berg-Drama «Sils Maria» zum Beispiel nur teilweise im Bündner Kurort gedreht. Stattdessen wählte man Ecken in Berlin, Leipzig und dem Südtirol, die irgendwie schweizerisch aussahen. Bei internationalen Koproduktionen werden oft solch merkwürdige Kompromisse gemacht.
Regie führte ein mehrfach Cannes-erprobter Franzose: Olivier Assayas. Und die Hauptrollen spielen Schauspielerinnen, die sogar in Hollywood einen Namen haben: Oscar-Preisträgerin Juliette Binoche und «Twilight»-Star Kristen Stewart. «Lüthi und Blanc»-Bösewicht Gilles Tschudi hat als einer von wenigen Schweizern eine Rolle in dieser europäischen Koproduktion ergattert. Der Basler verkörpert den Zürcher Stadtpräsidenten. In Cannes über den roten Teppich schreiten wird der 57-Jährige dennoch nicht. Gilles Tschudi zieht es vor, jeden Abend auf einer Berner Theaterbühne ehrliche Arbeit abzuliefern, statt sich an der Côte d’Azur feiern zu lassen.
Schweizer Facetten von «Le meraviglie» und «Adieu au langage»
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Ebenfalls eher international als eidgenössisch sieht die Situation bei «Le meraviglie» aus. Auch hier war die Regie nicht in Schweizer Hand. Die italienische Jungfilmerin Alice Rohrwacher inszenierte in Umbrien die wundersame Lebenswelt einer 14-Jährigen, die durch die Ankunft eines deutschen Jugendlichen erschüttert wird. Die Schweizer Facetten der zweiten helvetischen Koproduktion erschliessen sich erst auf den zweiten Blick: Die Bernerin Sabine Timoteo spielt eine Nebenrolle. Mitproduziert wurde das Drama von der Tessinerin Tiziana Soudani.
Offiziell als rein französische Produktion ins Rennen geht der 3D-Kunstfilm «Adieu au langage». Doch das Werk des «Nouvelle Vague»-Mitbegründers Jean-Luc Godard ist schweizerischer, als man auf Anhieb vermuten würde. Was viele nicht wissen: Der in Paris geborene Erneuerer des französischen Kinos besitzt seit 1953 die Schweizer Staatsbürgerschaft.
«Adieu au langage» ist der erste 3D-Spielfilm des 83-Jährigen Autorenfilmers, der zumindest in Cannes immer noch vergöttert wird. Dem ewigen Provokateur wird hier alles verziehen: Sperrige Werke wie seine letzte Regiearbeit «Film Socialisme» genauso, wie sein Fernbleiben vom Festivalzirkus wegen «einer gewissen Lustlosigkeit».
Das Kino selbst scheint Godard dagegen wieder Spass zu machen. Auch an der Kurzfilmsammlung «Les ponts de Sarajevo» zum 100-Jahre-Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkriegs hat er mitgearbeitet.
Dieses Projekt, das ausserhalb des Wettbewerbs läuft, ist wohl das beste Beispiel für die vielfältige Schweizer Cannes-Präsenz. Und zwar unabhängig davon, ob man Godard als Landsmann betrachtet. Mit Ursula Meier als Regisseurin einer Episode, Gilles Tschudi als Darsteller in einer anderen und der Lausanner Produktionsfirma «Bande à part» wird die Schweiz für einmal nicht zu übersehen sein.