Nach der Vorstellung leert sich der Kinosaal in einem Einkaufszentrum im Westen Moskaus schnell. Aber der Eindruck, den «Meister und Margarita» hinterlassen habe, werde lange bleiben, sagt Kinogängerin Olga.
«Da ist so viel drin – über Gott, den Teufel, menschliche Beziehungen, russische Geschichte und den Staat – und darüber, dass wir wohl alle irgendwie auf der Schwelle zwischen Himmel und Hölle sind.»
Der Erfolg kommt nicht von irgendwo
Olgas Fazit überrascht nicht: Mit dem Film wurde eine der reichsten Erzählungen der russischsprachigen Literatur auf die Leinwand gebracht. Michail Bulgakows Roman «Der Meister und Margarita» ist ein Klassiker des 20. Jahrhunderts, der sich bis heute grosser Beliebtheit erfreut. Darin erscheint der Teufel mit seiner teuflischen Entourage im stalinistischen Moskau, wo er Chaos und Verwirrung stiftet.
Verwoben mit dieser Handlung ist die Geschichte des Meisters, eines brillanten, aber verkannten Schriftstellers, und seiner Geliebten Margarita. Bulgakow vermischte im Roman seine Gedanken zu Religion, Kunst, Gut und Böse in der Stalinzeit, in der er lebte.
Autobiografische Verwurzelung
Zu Bulgakows Lebzeiten verhinderten die sowjetischen Behörden die Publikation des Buchs. Lange schon vermutet man, dass Bulgakow in der Titelfigur des Meisters auch sich selbst sah.
In der aktuellen Filmversion hebt der amerikanisch-russische Regisseur Michael Lockschin die politischen Aspekte des Romans noch stärker hervor: Im Film ist der Besuch des Teufels die Halluzination des vom Staat verfolgten Autors, der allmählich den Verstand verliert.
«Die Leute gehen einen Film schauen, der ihnen etwas über ihre eigene Realität erzählt», sagt der renommierte russische Kinokritiker Anton Dolin. Das erkläre auch die riesige Popularität des Films.
Bulgakows Erzählung über die stalinistische Repression und Zensur sei im heutigen Russland plötzlich sehr relevant. Der Film wurde vor Russlands Grossinvasion der Ukraine fertiggestellt. Doch er enthält offensichtliche Anspielungen auf das Putin-System, etwa auf die Annexion der Krim oder den Rohstoffreichtum des Regimes.
Keine Sympathien von russischer Seite
Dass der Film subversiv und beliebt ist, entgeht auch dem Kreml nicht. In der staatlichen Propaganda wird der Film heftig kritisiert. Insbesondere die Schlussszene versetzt die Propagandisten in Rage, in der Moskau von einem riesigen Feuer verschlungen wird.
Die Filmemacher zeigen nicht das Moskau der Stalinzeit, sondern ein futuristisches, technisch fortgeschrittenes Moskau, das an die wohlhabende Hauptstadt Putins erinnert.
Was wird zensiert, was nicht?
Wie kommt es aber, dass ein solcher Film sogar vom russischen Staat finanziert wird? «Russland war bis vor sehr kurzem ein hybrides Regime, was Zensur angeht», sagt Anton Dolin. «Das Regime weiss noch nicht genau, wie es mit Kultur umgehen will. Vielleicht hat man die Symbolkraft oder die Beliebtheit des Films unterschätzt. Vielleicht hat er sogar einflussreiche Fans im Kreml.»
Würde der Film jetzt verboten, werde er nur noch beliebter, sagt Dolin, also sei er für den Moment unantastbar. Wie der Roman zeige der Film erneut, dass Kunst immer wieder durch die Maschen der Zensur schlüpfen kann.