Ein Samstagabend im Gogol-Zentrum, einem der progressivsten Theater der russischen Hauptstadt. Die übliche Mischung aus Intelligenzia, jungen Kunstinteressierten und Moskauer Bürgertum schlendert durch das Foyer. Für einmal sind sie nicht eines Theaters wegen gekommen – sondern wegen der Bilder von Pasmur Ratschujko.
Die Eröffnungsrede hält kein geringerer als Kirill Serebrennikow, der bekannteste Theaterregisseur Russlands. Das Gogol-Zentrum ist sein Theater – er hat daraus einen Raum für kreative Experimente gemacht. Deswegen kann Künstler Ratschujko hier, im Foyer, ausstellen.
Und seine Bilder haben es in sich. «In Ratschujkos Bildern erkennt man Russland wieder», schwärmt Regisseur Serebrennikow im Interview mit SRF. Aber es sei ein ganz eigener Blick auf Russland.
Da ist zum Beispiel das Bild mit diesem Paar: er im Trainingsanzug wie ein typischer Bewohner von Russlands grauen Vorstädten. Sie im Mantel mit Pelzkragen. Beide halten ein Kalaschnikow-Sturmgewehr in der Hand und im Hintergrund steht eine Orthodoxe Kirche.
Ein provokativer Mix. Regisseur Serebrennikow: «Ja, das ist provokativ – es ist aber auch aktuell, und schlicht und einfach sehr talentiert.»
Die politische Linse ist sehr klein und eng.
Ist es auch politische Kunst? Serebrennikow winkt ab. Kunst immer nur politisch zu sehen, findet er falsch. «Denn die politische Linse ist sehr klein und eng.»
Das sagt ausgerechnet Serebrennikow, dessen Inszenierungen voll sind mit politischer Kritik. So zum Beispiel im fulminanten Theaterstück «Barokko», um nur ein Beispiel zu nennen. In einer Szene spielt ein Schauspieler Klavier – allerdings nur einhändig. Die andere Hand ist mit einer Handschelle an einen Polizisten gefesselt. Die gefesselte Kunst. Ein eindringliches Bild.
Regisseur Serebrennikow selber steht unter dem Druck des Repressionsapparates: Seit gut zwei Jahren läuft ein Verfahren gegen ihn wegen angeblicher Unterschlagung staatlicher Subventionsgelder. Die Vorwürfe wirken konstruiert. Viele in Moskau glauben, dass es vor allem darum geht, einen unabhängigen Künstler mundtot zu machen.
Serebrennikow selber kommentiert den Fall nicht, weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt.
Kunst und Macht. Das ist in Russland immer schon ein schwieriges Verhältnis gewesen. Russische Herrscher haben Künstler finanziert und gefördert – aber auch bestraft.
Ich habe in St. Petersburg an einer Gruppenausstellung teilgenommen. Vor der Eröffnung kam ein Mitarbeiter des Innenministeriums, um sich alles anzusehen. Alles war in Ordnung – ausser meine Arbeiten. Er verlangte, dass sie abgehängt werden.
Heute mischt sich der Staat wieder in die Kunst ein. Auch Maler Pasmur Ratschujko, der junge, aufstrebende Künstler aus Südrussland, kann eine solche Geschichte erzählen. «Ich habe in St. Petersburg an einer Gruppenausstellung teilgenommen. Vor der Eröffnung kam ein Mitarbeiter des Innenministeriums, um sich alles anzusehen. Alles war in Ordnung – ausser meine Arbeiten. Er verlangte, dass sie abgehängt werden.»
Die Galeristin habe dem Wunsch des Beamten entsprochen, so Ratschujko, die Bilder von der Wand genommen – später allerdings wieder hingehängt.
Gibt es also direkte Zensur in Russland? Einer der besten Kenner der zeitgenössischen Kunstszene Russlands ist der Österreicher Simon Mraz. Der Kurator und Kulturattaché der österreichischen Botschaft lebt seit vielen Jahren in Moskau und zeichnet ein differenziertes Bild von der Kunstszene. Er sagt, die Reaktion des russischen Staates auf zeitgenössische Kunst sei stets ambivalent.
«Serebrennikow ist hier in Russland das Enfant terrible, gleichzeitig ist er künstlerischer Leiter des Gogol-zentrums, eines städtischen Theaters. Oder als Serebrennikow unter Hausarrest sass, wurde eine seiner Inszenierungen im Bolschoi Theater gezeigt – und die ganze russische Elite sass im Publikum und hat geklatscht.»
Mraz glaubt, dass in Russland widersprüchliche Kräfte am Werk sind. Einerseits will der Staat die Kunst vereinnahmen, kontrollieren. Die offizielle Kulturpolitik bestehe darin, dass man einen Historismus vorantreibe, der verschiedene Elemente vereine, etwa den Stalinismus mit der Ästhetik des Zarentums im 19. Jahrhundert. Das Ganze sei eine einzige Collage, sagt Mraz. Eine Kunst-Collage, die ganz im Einklang steht mit der konservativen, neo-imperialen Politik des Kremls.
Andererseits aber, so der österreichische Kunst-Experte, wolle die Metropole Moskau nicht hinterwäldlerisch wirken. Und tatsächlich gibt es diverse Museen und Galerien, die zeitgenössische Kunst zeigen; ja eine eigentlich sehr lebendige Kunstszene. Das reicht von Underground-Konzerten über kritische Ausstellungen bis zu den – eben: städtisch finanzierten – Theater-Stücken von Kirill Serebrennikow.
Mraz sagt: «Ich glaube, dass das Unterscheidungskriterium, wo die Troubles beginnen, wo Kunst als Angriff auf das System verstanden wird, nicht so sehr im Inhalt liegt, als im Potenzial, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen.»
Mit anderen Worten: im kleinen Kreis kann man zeigen, was man will. Sobald man aber viele Menschen erreicht – gerade durch das Internet – kann sich der Stadt bedroht fühlen und zuschlagen. Mraz meint, der russische Staat verstehe Kunst als etwas, das eine Funktion habe. Anders gesagt: in den Augen des Kremls müsste die Kunst dem Staat dienen, aber mindestens nicht gegen ihn arbeiten.
Das System kann mich mal. Ich beschäftige mich lieber mit Kunst und anderen schönen Dingen.
Künstler Kirill Serebrennikow jedoch will sich gar nicht in diese Auseinandersetzung mit der Staatsmacht hineinbegeben. Wer gegen das System kämpfe, sagt er, werde Teil dieses Systems. «Das System kann mich mal. Ich beschäftige mich lieber mit Kunst und anderen schönen Dingen.»