21. Oktober 2013: ein nebelverhangener Tag, rund vier Wochen vor Drehbeginn zum Schweizer Film «Unser Kind». Treffpunkt ist ein Seminarzimmer im Hotel Kreuz in Bern. Einer nach dem anderen trudeln sie ein: Regisseur Luki Frieden, Produzentin Theres Scherer, die Schauspieler, der Autor, der Redaktor und der Hörspielredaktor, der das Drehbuch von Hochdeutsch in Mundart übersetzt hat, – eine Runde von über 15 Personen.
Die Feuertaufe
Nachdem alle mit Kaffee versorgt sind, beginnt die Arbeit. «Szene 1, Seite 1 – Innen, Wohnung Lea und Thomas: Schlafzimmer, Tag. Lichtstrahlen flimmern ....» Die Beteiligten ringen um jeden Satz, um jede Figur, um jede Szene: «Braucht es hier eine direkte Anrede der Person mit Namen?» Und: «Das muss ich hier anders sagen.» Dann: «Warum bin ich als Vater überhaupt in der Szene mit dabei?» Und schliesslich: «Bei diesem Satz stolpere ich immer. Kann ich den irgendwie aufbrechen?»
Dieses Treffen ist ein erster, wichtiger Punkt in der Filmproduktion, die eigentliche Feuerprobe. Versteht man, wo die Szene hin will? Ist sie witzig? Berührt sie? Funktioniert der Dialog? Gibt es inhaltliche Unstimmigkeiten? Wie ist der Gesamteindruck der Schauspieler der ganzen Geschichte? Und der jeweiligen Rolle? Alles Fragen, die beantwortet werden müssen.
Übersetzungsprobleme Deutsch-Schwyzerdütsch
Ein Drehbuchautor arbeitet monate-, wenn nicht jahrelang an einem Drehbuch. Immer wieder trifft er sich zu Besprechungen mit Produktion, Redaktion und Regie. Der Text wird geändert, Ideen werden verworfen oder mit anderen vermischt.
Oft liegt das Drehbuch erst in Hochdeutsch vor und man muss es dann in Mundart übersetzen. Das macht ein Hörspielredaktor von Radio SRF 2 Kultur. In Dialekt übersetzen klingt einfacher, als es ist. Es gibt markante Unterschiede zwischen der Standardsprache und dem «Schwyzerdütsch», beispielsweise benutzen Schweizer weniger Neben- und Relativsätze. Und natürlich ist das «Fahrrad» ein «Velo» oder «der Tunnel» heisst «das Tunnel». Auch Redewendungen sind unterschiedlich: Auf Schweizerdeutsch heisst es «weder Fisch noch Vogel» und auf Hochdeutsch «weder Fisch noch Fleisch».
«I ha di gärn» oder «I liäbä di»?
Zurück zur Leseprobe: Es wird heftig diskutiert. Was bedeutet der Satz «Är hett mer d’Leitig vom Liberia-Projekt atreit» wirklich? Heisst «atreit» nun «antragen» oder «jemandem etwas andrehen»? Der Satz in der deutschen Originalversion des Drehbuchs lautet: «Ich hab die Leitung beim Liberia-Projekt bekommen». Nach einigem Hin und Her einigt sich die Runde darauf, dass «jemandem etwas andrehen» dem Sinn der Szene und der Ironie der Figur «Lea» am besten entspricht.
Eine Diskussion löst auch der vordergründig simple Satz «Ich liebe dich» aus. Irgendwie klingt er im Kontext der anderen Dialoge komisch in Mundart. Also versucht man es mit «I ha di gärn». Woraufhin einer der Schauspieler interveniert – «I ha di gärn» sei schwächer ist als «I liäbä di». Nach einigem Hin und Her einigt sich das Team deshalb auf «I liäbä di.»
Der Tag geht zu Ende. Alle sind fix und fertig – aber zufrieden. Viele Probleme in Szenen und Dialogen konnten gelöst werden. Die Devise ist klar: Lieber im Vorfeld grosse Diskussionen im kleinen Kreis, als zahlreiche kleine Diskussionen am Set, die die ganze Crew aufhalten. Zeit zum Diskutieren gibt es beim Dreh nicht mehr – besonders im Herbst, wenn das kostbare Tageslicht rar wird.