Die Frau hat keinen Namen. Sie schreibt ihre eigene Geschichte auf, für niemanden. Denn da ist niemand. Ein geplantes Wochenende in einer Berghütte wird zur einsamen Robinsonade, als sie entdeckt, dass sie die Alp nicht mehr verlassen kann. Eine gläserne Wand isoliert sie von der Welt.
Der Roman von Marlen Haushofer erschien 1963. Er ist geschrieben wie ein zurückblickendes Tagebuch, als eine Art innerer Monolog der Frau. Nun hat Regisseur Julian Pölsler das Prinzip des Romans zum Bauplan seines Films «Die Wand» gemacht.
Ein grandios bebildertes Hörbuch
In einer schauspielerischen Parforce-Leistung spricht Martina Gedeck grosse Teile des Romans aus dem Off. Gleichzeitig sieht man sie am Tisch schreiben oder in Rückblenden das Erzählte durchleben. Dass der Film auf diese Weise wie ein grandios bebildertes Hörbuch wirkt, entwickelt in der ersten halben Stunde durchaus einen gewissen Reiz.
Schliesslich interessiert sich der Roman allenfalls am Rande für die klassischen Zutaten, welche einer klassischen Robinson-Geschichte ihren Unterhaltungs- und Abenteuerwert geben. Wie die elegant gekleidete Städterin mit ihren hohen Absätzen und gezielt femininer Erscheinung sich im Verlauf des Films in eine wettergegerbte und abgekämpfte Bergbäuerin verwandelt, geht so graduell und allmählich vor sich, dass die Entwicklung der Figur dadurch unterstrichen wird.
Überhaupt sind Spiel und Erscheinung von Martina Gedeck überaus zurückhaltend. Die Schauspielerin fusioniert sozusagen mit dem Text, und das wäre für sich genommen wohl ein bleibendes Erlebnis. Aber irgendwie scheint Pölsler seinem eigenen Mut nicht ganz zu trauen. Jedenfalls inszeniert er die Bergwelt und überhaupt die Natur um die Frau herum ganz klassisch überwältigend und grandios. Dies wiederum unterläuft den Text und die Stimmung des Buches – die Frau wirkt oft nicht verloren und verlassen inmitten dieser Herrlichkeit, sondern allenfalls herausgefordert.
Ferienstimmung statt Existenzangst
Zwar bringen die Episoden des Buches – der Tod einer Katze, die Geburt eines Kalbes, der Schrecken einer unerwarteten Begegnung – durchaus Druck und Drama in den Film. Aber sie kontrastieren auch wieder mit der Unerbittlichkeit der Zeit. Und die Naturbilder evozieren Freiheits- und Ferienträume auch dort, wo die Natur eher Gegenbild und Bedrohung der Menschlichkeit sein müsste.
Martina Gedeck zuzusehen und zuzuhören ist ein Erlebnis, die Inszenierung der hochliterarischen Vorlage zumindest theoretisch höchst interessant. Aber als Kinoerfahrung fällt das Ganze nach einer Stunde deutlich ab, die Sinneseindrücke von Hören und Sehen verbinden sich mit dem eigenen Denken nicht mehr zum anfänglich starken Ganzen. Es bleibt das Gefühl, die Lektüre des Buches wäre wohl doch nachhaltiger – und zugleich die resignierte Erkenntnis, dass einem nun aber doch eher die Lust darauf vergangen sein könnte.