Die Geschichte ist oft erzählt worden: Ein engagierter Lehrer möchte unterprivilegierten Jugendlichen eine neue Perspektive aufzeigen. Wir erinnern uns an Spielfilme wie «Dangerous Minds» mit Michelle Pfeiffer, an Hilary Swank in «Freedom Writers» oder auch an «Entre les murs», der in Cannes 2008 mit der goldenen Palme ausgezeichnet wurde.
«Neuland» ist anders – kein Fantasie-Produkt eines Drehbuchautors. «Neuland» ist echt. Für ihr Abschlussprojekt an der Zürcher Hochschule der Künste hat die Dokumentarfilmerin Anna Thommen eine Integrationsklasse und deren Lehrer zwei Jahre lang begleitet. Der Film, der am Zürich Film Festival Premiere feierte, zeigt: Wer in die Schweiz einwandert, hat es nicht zwangsläufig besser, sondern steht erst am Anfang eines langen und schwierigen Weges.
Schnellkurs Integration
Von Afghanistan bis Pakistan mit dem Auto, zu Fuss durch die Türkei, mit einem einfachen Schlauchboot übers Meer nach Italien. Die Odyssee des 19-jährigen Ehsanullah endet nach einem Jahr in Basel. Die 21-jährige Albanerin Nazlije kommt nach dem Tod der Mutter zu ihrem Vater in der Schweiz. Ehsanullah und Nazlije treffen sich in Basel in der Integrationsklasse von Herrn Zingg.
Zusammen mit anderen jungen Migranten sollen sie innerhalb von zwei Jahren die Sprache und Schweizer Kultur kennenlernen. Dass in der Schweiz strikte Regeln gelten, wird schon am ersten Tag deutlich. Wer auf die Toilette will, muss zuerst fragen, erklärt Lehrer Zingg.
Herr Zingg und seine Schüler
Pünktlichkeit, Anstand, Korrektheit – der kauzige Zingg nimmt seine Aufgabe als Lehrer ernst und ist bemüht, die Jugendlichen auf ein selbständiges Leben in der Schweiz vorzubereiten. Die schulische Leistung steht im Vordergrund, auf die privaten Probleme seiner Schüler lässt er sich nicht ein. Dass Ehsanullah beispielsweise lieber arbeiten würde, um seiner Familie in Afghanistan Geld zu schicken, kann Zingg nachfühlen, aber nicht dulden. Trotzdem verehren die Schüler ihren Lehrer. Er scheint der einzige zu sein, der sich für sie einsetzt.
Authentisch, feinfühlig, emotional
Authentisch und ehrlich erzählt Anna Thommen die Geschichte der jungen Migranten. 90 Minuten lang ist der Zuschauer ein Teil der Integrationsklasse. Thommen verzichtet auf einen kommentierenden Text, die Bilder und Protagonisten sprechen für sich. Man ist wütend, als Ehsanullahs Antrag auf Asyl zuerst abgelehnt wird. Traurig, als Nazlije über ihre tote Mutter spricht.
«Neuland» widerspricht dem Vorurteil, dass alle jungen Migranten kriminell sind und in Trainingshosen herumlaufen. Trotzdem bleibt die quälende Frage: Haben diese Jugendlichen eine Zukunft in der Schweiz? Der Film kann keine Antwort geben. Klar ist aber, dass viele Träume platzen und nicht jedem der Einstieg in das selbständige Berufsleben gelingen wird.