Der Film endet mit einem emotionalen Moment: Sie umarmen zum Abschied Ihren Schüler Ehsanullah Habibi, es fliessen Tränen. Was ist aus Ehsanullah geworden?
Christian Zingg: Nach der Schule arbeitete er zwei Jahre lang als Hilfskoch in dem Restaurant, in dem er schon im Film zu sehen war. Als ich ihn an der Filmpremiere zu «Neuland» wiedertraf, flossen erneut Tränen. Ich motivierte ihn, eine Lehrstelle zu suchen. Im Sommer 2015 klappte es: Er konnte im Basler Hotel Krafft eine Lehre als Koch anfangen. Der Betrieb war durch den Film auf Ehsanullah aufmerksam geworden und kümmert sich sehr gut um ihn.
Wie erging es anderen Schülerinnen und Schülern aus der porträtierten Klasse?
Die fleissige und talentierte Nazlije arbeitet als Fachfrau Gesundheit bei der Spitex. Längerfristig möchte sie sich an einer höheren Fachschule zur Krankenschwester ausbilden lassen und später Berufsschullehrerin werden. So kann sie sich ihren Traum, selbst zu unterrichten, doch noch erfüllen.
Nazlijes Bruder Ismail machte eine verkürzte Ausbildung zum Sanitärinstallateur. Dabei stellte er sich so gut an, dass ihm der Betrieb eine Volllehre anbot. Diese wird er bald abschliessen.
Hossein, der Junge aus Afghanistan, der mir im Film die schlimmen Videos aus der Heimat zeigte, besuchte zuerst den Vorkurs Metall an der Gewerbeschule. Danach begann er eine Ausbildung als Sanitärinstallateur. Er steht kurz vor dem Lehrabschluss.
Dann ist da noch Hamidullah, der junge Mann mit den Gedichten. Er beschloss, keine Berufsausbildung zu machen, obwohl er das locker packen würde. Nach dem Film bekam er Angebote, seine Gedichte zu veröffentlichten. Doch er reagierte nicht darauf. Seine Gedichte vernichtete er nach dem Schreiben gleich wieder. Nun kann man sich fragen: Ist Hamidullah integriert? Ich finde, ja. Er fällt der Gesellschaft nicht zur Last, sondern arbeitet als Hilfsarbeiter in einer Grossbäckerei.
Hamidullah hat sich nicht mehr gemeldet. Das ist bei Ehemaligen, die keinen Erfolg haben, oft so. Sie kommen nicht mehr zu mir, weil sie sich schämen, dass nichts aus ihnen geworden ist. Doch diese Einstellung ist falsch. Ich würde ihnen gerne weiterhin helfen.
Gibt es auch Schüler, die den Einstieg ins Berufsleben nicht schafften?
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Ja, es gibt immer wieder Jugendliche, die nach der Schule ohne Lösung dastehen. Aus der Filmklasse fehlten bei zwei Jugendlichen Antrieb und Druck von zu Hause, etwas zu machen. In der Schule bekamen sie das Rüstzeug, um erfolgreich den Einstieg in die Berufswelt zu schaffen. Vielleicht nutzen sie dieses Wissen aber erst Jahre später.
Oder es läuft wie bei Tugçe. Die Türkin, die sich immer wieder mit mir anlegte, weigerte sich anfangs, Deutsch zu lernen, weil sie in die Türkei zurück wollte. Doch dann verliebte sie sich bei der Arbeit in einem Schnellimbiss in einen Kunden: einen Schweizer. Sie heiratete noch während der Schulzeit. Heute ist sie Hausfrau und spricht fast perfekt Baseldeutsch. Ihr Beispiel zeigt, dass es auch andere Wege gibt, um sich zu integrieren. Es muss nicht immer eine Berufsausbildung sein.
Nach dem Erscheinen von «Neuland» wurden Sie überhäuft mit Presseanfragen. Ist der Alltag inzwischen wieder eingekehrt?
Nein, ich werde immer noch wegen des Films kontaktiert und auf der Strasse angesprochen. Mittlerweile kommen die Anfragen aber vor allem von Schulen aus Deutschland, die im Begriff sind, Integrationsklassen aufzubauen. Sie wollen von unserer Erfahrung profitieren. Die IBK Basel war meines Wissens die erste Schule im deutschsprachigen Europa, die eine solche Integrationsklasse gegründet hat.
Der Film hat also nachhaltig etwas bewirkt?
Ja, auf verschiedensten Ebenen: Viele Menschen sehen junge Migranten nun mit anderen Augen. Ausserdem tauschen sich Schulen seither vermehrt über Integration aus. Und: Drei Jugendliche aus unserer Schule haben dank dem Film eine Lehrstelle bekommen.
Was hat der Film mit Ihnen gemacht?
Wegen des Films musste ich oft über meine Arbeit sprechen. Das führte dazu, dass ich viel mehr darüber nachdachte. Ich unterrichte heute viel bewusster. Das hat nicht zuletzt mit der Regisseurin Anna Thommen zu tun. Sie ist ausgebildete Grundschullehrerin – während der gesamten Drehzeit konnten wir auf Augenhöhe über den Unterricht sprechen.
Als unsere Schule vor eineinhalb Jahren von der Kaserne nach Riehen umzog, entsorgte ich Material von über 20 Jahren Schulzeit. Ein klarer Schnitt, um nochmal neu anzufangen. Das müssen wir Lehrer meiner Meinung nach regelmässig machen. Schon während meiner eigenen Schulzeit fand ich es schlimm, wenn Lehrer über Jahrzehnte hinweg dasselbe Unterrichtsmaterial verwendeten.