Eigentlich ist das ja durch mit den «Tudors», den «Sex and Crime»-Eskapaden in Fernsehmehrteilern und es wäre wieder an der Zeit für grosse Königsdramen. Das besonders, wenn Jean-Stéphane Bron schon seinen «L’expérience Blocher» als «seinen Blocher» bezeichnet, in Analogie zu «seinem Hamlet» oder «seinem Lear» im Gesamtwerk eines Theaterregisseurs. Und nun also Thomas Imbach mit «seiner» Maria Stuart?
Nun, zunächst ist es nicht Imbachs Maria, sondern jene von Stefan Zweig, die hier der Leinwand angewandelt wird. Und zudem interessiert sich Thomas Imbach nicht einfach für die Königin und ihr tragisches Schicksal, sondern offensichtlich auch für Wandlung, Interpretation und Verstofflichung des teils historischen, teils literarischen Materials. Entstanden ist dabei ein exquisiter Film.
Link zum Artikel
Zeugnis einer obsessiven Zweig-Lektüre
Der Stil zwischen kostümiertem Realismus, spielerischer Reduktion und bildstarker, kontrastreicher Inszenierung erinnert dabei an die französische Schule, ein wenig an Eric Rohmers theatralischen «Perceval», ein bisschen an die neueren Historien-Interpretationen wie «La religieuse» von Guillaume Nicloux oder gar den deutlich dramatischeren «Michael Kohlhaas» von Arnaud des Pallières.
Thomas Imbach hat einen einzigartigen Stil entwickelt, der Intimität, Abstraktion und immer wieder auch Humor verbindet. Seine Zweig-Lektüre scheint ähnlich obsessiv, wie seinerzeit seine Beschäftigung mit Büchners Lenz. Wo Imbachs Lenz allerdings autobiografische Elemente aufwies, scheint er dieses Mal eher daran interessiert, Stefan Zweigs eigenes Flüchtlings- und Emigranten-Schicksal mit dessen Blick auf die Königin und ihre diversen Verpflanzungen und Fluchten zu durchweben.
Der Film ist ein durchdachtes Vergnügen auf jedem Kanal. Von der Farbgestaltung über die Kameraführung von Rainer Klausmann bis zur wirkungsvollen Kostümierung wirkt er diszipliniert und sparsam. Im Kontrast dazu steht die grossartige Musik von Sofia Gubaidulina, welche eine Opulenz andeutet, die dann doch vor allem im Kopf der Zuschauer entsteht.
Das Drama als Puppenspiel
Die Erzähl-Ökonomie ist bewundernswert und einfallsreich. Wenn Marias Mutter beschliesst, die Tochter übers Meer ins Exil zu schicken, um ihre Selbstbestimmtheit zu sichern, dann spielt das kleine Mädchen mit einem Holzschiffchen am Wasser. Und der von Stefan Zweig seltsam überbetonte verwandtschaftlich ambivalente Zickenkrieg zwischen Maria Stuart und Elizabeth Tudor wird im Film von einem Puppenspieler mit zwei grossen Königinnen-Puppen immer wieder durchgespielt.
Für Buch und Produktion zeichnen Thomas Imbach und seine Partnerin Andrea Staka gemeinsam verantwortlich. Die Schauspielerinnen und Schauspieler kommen aus England und Frankreich und aus diversen, zum Teil unerwarteten Ecken. So verkörpert beispielsweise der Schweizer Musiker Stephan Eicher den Henry II. von Frankreich.
Die Figuren sind in einer Art «Cluster» angeordnet, da sind etwa die vier Maries, Maria Stuarts Gesellschafterinnen aus diversen noblen Familien, die tatsächlich allesamt Mary hiessen – und denen Imbach schon früh einen überaus reizenden Auftritt gewährt.
Überwältigende Vielschichtigkeit
Thomas Imbachs «Mary Queen of Scots» arbeitet mit dem maximalen Kontrast zwischen der unglaublich komplexen Historie und der sparsamen, disziplinierten Inszenierung. Die Vielschichtigkeit des Films mag überwältigend sein – das erste Seherlebnis besticht aber gerade mit einer durchtrainierten Magerkeit. Opulenten Ideen und Verknüpfungen stellt Imbach Tableaux und Szenen von eindrücklicher Klarheit und Einfachheit gegenüber.