James Franco spielt den kanadischen Romanautor Tomas Eldan, dem an einem Winterabend ein Kind unters Auto schlittelt. Er weiss, dass ihn keine Schuld am Tod des kleinen Jungen trifft, und auch die von Charlotte Gainsbourg gespielte Mutter gibt ihm keine Schuld. Eher schon sieht sie die Schuld bei sich. Oder bei William Faulkner, weil dessen Lektüre sie an dem Abend so fesselte, dass sie ihre Buben draussen zu lange unbeaufsichtigt liess.
Kunst anstatt zu leben – oder um zu leben?
Aber Eldans ohnehin von Schreibblockade und Beziehungsverwelkung mit seiner Freundin Sara (Rachel McAdams) geprägtes Leben gerät doch aus der Bahn. Er unternimmt einen halbherzigen Suizidversuch. Schliesslich rappelt er sich auf, schreibt endlich seinen dritten Roman und wird damit erfolgreich. Fortan fühlt er sich auch darum schuldig, weil das tragische Ereignis seine schriftstellerischen Qualitäten erst so richtig hervorgebracht hat.
Das ist eine Geschichte, deren Reiz für Wim Wenders klar ersichtlich ist: Der Künstler, der nicht nur sein Leben, sondern auch die Leben seiner Nächsten in seine Kunst einbringt und sich dabei immer wieder fragen muss, ob er dies tut, anstatt zu leben oder um zu leben. Und ob das so auch statthaft sei.
3D schafft tatsächlich Mehrwert
Geschrieben hat die Geschichte Bjørn Olaf Johannessen («Nowhere Man»). Johannessen war schon Wenders’ Autor bei der Architekturreihe «Cathedrals of Culture», zu der Wenders seinen 3D-Film über die Berliner Philharmonie beigetragen hat.
Zusammen mit Benoît Debie an der Kamera und Joséphine Derobe als «Director of Stereography» findet Wenders für «Everything Will Be Fine» viele packende, schöne und vielsagende Einstellungen in 3D. Sie beweisen, dass man mit dieser artifiziellen Tiefe auf der Leinwand tatsächlich einen Mehrwert schaffen kann.
Zurückhaltende Erzähldramaturgie
Die Blickführung mittels Schärfenebenen – jene Momente, in denen das Bild vorgibt, was man scharf sehen kann und was nur verschwommen – gibt es schon sehr lange. Aber bei konventionellen 3D-Filmen werden solche Sequenzen weitgehend vermieden, weil man dem Publikum ja stets die ganze Tiefe des Raumes und die Illusion der Blickfreiheit bieten möchte.
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Wenn Wenders nun in 3D solche klassische Einstellungen wagt, in denen ein Gesicht im Vordergrund scharf ist, der Hintergrund aber nicht, dann erhöht das den Eindruck von Künstlichkeit: Er führt vor, was Aufmerksamkeit bekommen soll. Zugleich verdienen diese Einstellungen das Vertrauen des Zuschauers. Der Regisseur ist der Erzähler, man überlässt sich seiner Geschichte – warum soll man nicht seinem Blick vertrauen? Das erzeugt eine ganz neue Intimität auf der Leinwand.
Dafür hält sich Wenders bei der Erzähldramaturgie weitgehend zurück. Die Dinge geschehen chronologisch über zwölf Jahre hinweg, Zwischentitel verkünden: «Vier Jahre später»; Tomas Eldans Entwicklung und schliessliche Läuterung wird in einzelnen, zum Teil recht kurzen Episoden geschildert.
Frauen als Funktionen, Männer als Karikaturen
Dabei fällt auf, dass die Frauen – allesamt sehr schön – von sehr präsenten Schauspielerinnen mit unmittelbarer Ausstrahlung verkörpert werden. Allerdings bleiben sie, mit Ausnahme von der Mutter Kate (Charlotte Gainsbourg), Funktionen.
Die Männer dagegen sind fast schon bühnenhafte Karikaturen: sowohl der verbitterte Vater von Eldan (Patrick Bauchau) wie auch der von Peter Stormare mit gewohntem Wolfsgrinsen verkörperte Verleger. Die Hauptfigur Eldan gerät mit James Francos drei Gesichtsausdrücken zur Chiffre des verschlossenen Mannes.
Keine grossen Gesten und Gefühle
«Everything Will Be Fine» ist ein kleiner Film, eine Novelle, fast schon eine sorgfältig gestaltete Miniatur. Was am stärksten in der Erinnerung nachwirkt, sind die Bilder, die überraschenden Momente in 3D. Etwa wenn eine geringfügige seitliche Kamerabewegung in einem Raum den Eindruck erweckt, die Welt im Fenster im Hintergrund habe sich in Bewegung gesetzt wie ein anfahrender Zug.
Ebenso stark wirkt die Musik von Alexandre Desplat, welche überall dort emotional nachlegt, wo das Gesicht von James Franco zur reinen Projektionsfläche wird. Alles in allem sind es nicht die grossen Gesten und Gefühle, die Wenders hier zu interessieren scheinen. Sondern das, was übrigbleibt, wenn die Kämpfe ausgestanden sind und die Schuld akzeptiert ist. Das ist sympathisch. «Everything Will Be Fine» ist sympathisch.