Als Nanni Moretti mit Michel Piccoli «Habemus Papam» (2011) drehte, starb seine Mutter, eine beliebte Latein- und Griechischlehrerin. Und so wie Moretti mit «La stanza del figlio» schon zehn Jahre früher Trauerarbeit leistete, wollte er es jetzt wieder tun.
Trauer und Komik
Den Regisseur, der sich gleichzeitig um die sterbende Mutter, einen Filmdreh in Schieflage und einen mühsamen amerikanischen Schauspieler kümmern muss, spielt er diesmal allerdings nicht selber. Er hat die Rolle zusammen mit drei Ko-Autorinnen für die grossartige Margherita Buy geschrieben.
Das tut dem Film enorm gut, zumal Moretti durchaus auch selber präsent ist: Er spielt den Bruder der Regisseurin. Den, der alles richtig macht, der Mama selbst gekochte Pasta ins Spital bringt und sogar Urlaub genommen hat, um sich ganz um sie kümmern zu können.
Filmdreh im Film
Wie meistens ist Moretti dann am besten, wenn Trauer und Komik ineinander übergehen. Und dazu bietet «Mia madre» viele Gelegenheiten. Es fängt schon damit an, dass einen der Vorspann unsicher lässt: Die Klaviermusik tönt doch eher tragisch verhalten, dann kommt eine Aufblende auf eine Wand von Polizisten hinter Plexiglasschildern, der Schwenk auf Demonstranten, welche Arbeit für alle fordern, und schliesslich der brutale Aufeinanderprall der Fronten. Schlagstöcke, Wasserwerfer, Tritte.
Und plötzlich rennt Margherita Buy ins Bild und ruft «Stop!». Sie will wissen, wer der Sadist an Kamera zwei sei, der Schläge auf die Köpfe in Grossaufnahme heranzoome. Der verteidigt sich, sagt, so werde das Publikum besser involviert; und wie sie denn das Wasser im Gegenlicht gefunden habe? Sie wolle das Publikum gar nicht so weit involviert haben, entgegnet die Regisseurin – der Einfachheit halber heisst sie Margherita – und schickt die Komparsen zum Trocknen und Umziehen.
Starke Bilder
Filmdreh im Film ist immer effektvoll, aber so leicht macht es sich Moretti auch dieses Mal nicht. Es gibt noch weitere surreale Szenen. Man kann sie als Margheritas Träume deuten, als Erinnerungen an die eigene Kindheit mit der Mutter oder einfach als Angstvorstellungen. Oder Alpträume, etwa wenn sie mitten in der Nacht aufsteht und feststellt, dass die Wohnung überschwemmt ist, wohl von der Waschmaschine. Verzweifelt wirft sie Zeitungen zum Aufsaugen in das knöcheltiefe Wasser – ein weiteres starkes Bild für ihre Überforderung mit allem.
Schmerz und Trauer als Grundton
John Turturro spielt den New Yorker Schauspieler, der den Kapitalisten spielen soll, der die marode Fabrik übernommen hat und einen grossen Teil der Belegschaft entlassen will. Er spielt ihn so pompös und voller falscher Grandezza, wie man es von ihm erwarten darf: Er kann sich keine zwei Zeilen Dialog merken und seine Starallüren bestehen darin, dass er blödsinnige Forderungen stellt und dann losprustet, wenn die Leute sie ernst nehmen. Es wäre kein Moretti-Film, hätte nicht auch dieser Barry seine tragische Seite.
Der bevorstehende Tod der Mutter hängt über allem und gibt dem Film einen tragischen Grundton, der zugleich universell ist und individuell anschlägt. Vor allem aber sind Schmerz und Trauer hier einfach gegeben. Sie sind die Basslinie, welche die verrückten und selbstkritischen Obertöne trägt.
Typisch Moretti, aber gereift
Da erweist sich Morettis Kniff, seine eigene Rolle an eine Frau zu übertragen als überraschend zweischneidig und effizient. Margherita kauft am Ende eines harten Drehtages noch Essen für die Mutter und stopft zuhause Wäsche in die Maschine. Damit macht Moretti schmerzlich klar, dass schon der normale Alltag einer arbeitenden Mutter eine Überforderung darstellt – was er dadurch noch unterstreicht, dass seine Figur die Brotarbeit einfach sistiert hat.
Noch stärker aber wirkt es – fast schon wie Sadismus –, wenn der Autor des Filmes sein Alter Ego derart gnadenlos durch die Selbstkritikmühle schickt. Würde er das mit sich selber machen, würde es wehleidig wirken.
Mia madre ist einerseits ein typischer Moretti-Film: ausgewogen, komisch, tragisch, menschlich. Andererseits aber auch eine weiter gereifte Version seines meist angenehm egozentrischen Schaffens – ein Vor-Alterswerk, dass schon jetzt Vor-Freude auf seinen nächsten Film in rund vier Jahren weckt.