Es beginnt mit einem Traum: der frischgewählte, jugendliche, gutaussehende Papst spricht zu den Gläubigen auf dem Petersplatz. Er spricht von Toleranz, von Homoehe, von Freiheit. Und wacht schweissgebadet auf. Denn der neue Papst, Lenny Berlardo, der sich Pius XIII. nennt, ist zwar jung, aber streng, konservativ, unnahbar und undurchschaubar.
TV-Serie am Filmfestival
Kaum eine Premiere wurde am Filmfestival von Venedig so gespannt erwartet, wie «The Young Pope» von Paolo Sorrentino. Dabei handelt es sich nicht um einen Kinofilm, sondern um die ersten, zusammengesetzten zwei Folgen einer TV-Miniserie.
«The Young Pope» wurde produziert von Sky, HBO und Canal+ und läuft im Oktober mit 10 Folgen in verschiedenen Ländern an (in der Schweiz ab 27. Oktober über Teleclub).
Wenn der aktuell bekannteste italienische Regisseur – er hat mit «La grande Bellezza» einen Oscar gewonnen und zuletzt «Youth» gedreht – eine Fernsehserie macht, die einen höchst eigenwilligen Blick hinter die Mauern des Vatikans verspricht, dann ist die Aufmerksamkeit von vornherein gross.
Zynische Einblicke in den Vatikan
Ausserdem ist hier, am Filmfestival von Venedig, die Atmosphäre immer sehr gespannt, wenn die katholische Kirche oder der Vatikan Thema sind. Schon mehr als einmal gab es laute Proteste aus kirchennahen Kreisen bei allzu kritischen Filmen.
Die ersten beiden Folgen von «The Young Pope» versprechen amüsante, zynische und komplexe Einblicke in die Welt des Vatikans.
Jude Law als autoritärer Jungpapst, der per Intrige einiger einflussreicher Kardinäle als Marionette eingesetzt wurde, krempelt die Machtstrukturen im Vatikan um und lässt die anderen wie Marionetten an den Fäden tanzen.
Düsterer Spiritus statt Lichtgestalt
Dabei bleibt er undurchschaubar und unberechenbar. In den ersten Tagen seines Papsttums verweigert er sich den wartenden Gläubigen auf dem Petersplatz und verkündet, es solle nie ein Bild von ihm an die Öffentlichkeit gelangen.
Als er schliesslich auftritt, bleibt er im Schatten, sodass er auf dem Balkon des Petersdoms nicht wie eine positive Lichtgestalt erscheint, sondern wie ein düsterer Spiritus, eine gesichtslose, aber fürchterliche Autorität, die der verschreckten Menge verkündet, Glaube habe wenig mit Freude und schon gar nichts mit Freiheit zu tun.
Beiträge zum Thema
- «Youth»: Hollywood macht Urlaub in der Schweiz (9.9.2015) «Youth»: Hollywood macht Urlaub in der Schweiz (9.9.2015)
- «La grande bellezza» von Paolo Sorrentino (Kultur, 25.7.2013) «La grande bellezza» von Paolo Sorrentino (Kultur, 25.7.2013)
- Anne Walser, Schweizer Koproduzentin «Youth» (Kontext, 21.5.2015) Anne Walser, Schweizer Koproduzentin «Youth» (Kontext, 21.5.2015)
Der Papst glaubt nicht an Gott
Lenny Belardo alias Pius XIII. führt ein knallhartes, rigides und sehr wertkonservatives Regime im Vatikan ein. Aber Meisterregisseur Sorrentino lässt natürlich schon in diesen ersten zwei Folgen erahnen, dass nichts so bleiben wird, wie es zu Beginn der Serie etabliert wird.
Auch der Papst hat seine schwache Seite: und die ist auch der grösste zynische Witz, den sich Sorrentino schon zu Beginn erlaubt: Pius XIII. glaubt nicht an Gott.
Starke Frauen im Vatikan
Die Serie ist grossartig inszeniert und ausgestattet, in diesem typischen Sorrentino-Stil, wie man ihn aus seinen Filmen kennt. Und sie ist toll besetzt – neben Jude Law spielt Diane Keaton eine der Hauptrollen: Schwester Mary, ehemalige Ziehmutter und neue Beraterin des jungen Papstes.
Auch das ein Geniestreich Paolo Sorrentinos: in einer Serie, die praktisch komplett im Vatikan spielt, drei wichtige weibliche Figuren einzuführen: neben Schwester Mary sind das noch die Marketingchefin und die Ehefrau des Kommandanten der Schweizergarde.
Grosse Lust auf mehr
Es gibt viele Geschichten und Filme mit fiktiven Päpsten. «The Young Pope» aber macht etwas ganz Neues. Statt der katholischen Kirche einen visionären, humanistischen Papst anzudichten, der der Menschheit Gutes will, zeigt diese TV-Serie die Geschichte eines widersprüchlichen Papstes.
Er ist erzkonservativ mit revolutionärem Anspruch, mehr Politiker und Staatsoberhaupt als oberster Hirte – zumindest in diesen ersten zwei Folgen, die grosse Lust auf mehr machen.