«Wird dieser Spielfilm in der realen Welt Gewalt auslösen?», fragte eine Reporterin Hollywood-Star Kirsten Dunst auf dem roten Teppich bei der Premiere ihres neuen Films «Civil War». Darin geht es um einen Bürgerkrieg in den USA von heute.
«Es ist ein Film, der Gespräche anregen soll», antwortete Kirsten Dunst diplomatisch. Ihr Co-Star Wagner Moura ergänzte: «Der Film zeigt, gesellschaftliche Polarisation kann zu sozialen Konflikten führen.»
Wenn auf dem roten Teppich nicht über Outfits gesprochen wird, sondern über Politisches, dann muss der Film einen Nerv getroffen haben.
Angst vor dem Bürgerkrieg
Tatsächlich sorgen sich viele US-Amerikaner und -Amerikanerinnen seit dem Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 um die Demokratie im Land.
23 Prozent von ihnen glauben, dass «wahre amerikanische Patrioten vielleicht zu Gewalt greifen müssen, um unser Land zu retten». 13 Prozent der befragten Demokratinnen und ein Drittel der Republikaner stimmten der Aussage zu. Das ergab im August 2023 eine Umfrage der Denkfabrik Brookings Institution und des Public Religion Research Institute, einer gemeinnützigen Forschungseinrichtung.
Bei einer 2022 von YouGov und dem «The Economist» durchgeführten Umfrage sagten 43 Prozent der befragten US-Bürger, dass sie einen Bürgerkrieg in den nächsten zehn Jahren für wahrscheinlich hielten. Kein Wunder also, dass «Civil War» heiss diskutiert wird.
Das Drehbuch geschrieben und Regie geführt hat der 53-jährige Brite Alex Garland.
Die Idee hatte er während der Covid-Pandemie, die in seinen Augen die Gesellschaft verändert hat. «Alle Arten von Brüchen wurden noch brüchiger und paranoide Sorgen wurden noch paranoider», erklärte er im Interview mit der Zeitung «The Guardian».
Gewalt und Polarisation in den USA
Alex Garland bezieht sich damit auf die aktuelle Situation. Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur. Demokratische Wahlen werden angezweifelt. Der Kongress ist handlungsunfähig: weil Republikaner und Demokraten sich kompromissunfähig gegenüberstehen. Befeuert wird der Konflikt durch ein brutales Vokabular.
Der republikanische Senator Lindsey Graham sagte im August 2023 «Strassenunruhen» voraus, wenn Donald Trump wegen falschen Umgangs mit Geheimunterlagen angeklagt würde.
Trump drohte im März mit «Tod und Zerstörung», sollte er strafrechtlich wegen einer Schweigegeldzahlung an die Erotikfilm-Darstellerin Stormy Daniels belangt werden.
Standoff am Rio Grande
Anfang 2024 dachten viele US-Amerikaner an einen Bürgerkrieg. An der Grenze zu Mexiko standen sich am Rio Grande die texanische Nationalgarde und die US-Border-Patrol der Bundesregierung gegenüber. Wegen einer gegen Migranten gerichteten Aktion von Texas, die gegen Bundesrecht verstiess. 25 der 26 republikanischen Bundesstaaten erklärten sich mit dem Vorgehen des texanischen Gouverneurs Gregg Abbott solidarisch.
Über einen möglichen Krieg wurde schon viel geschrieben. Der kanadische Essayist Stephen Marche vertritt in seinem Buch «Aufstand in Amerika: Der nächste Bürgerkrieg» (2022) die pessimistische Auffassung, dass die Vereinigten Staaten «ein Paradebeispiel für ein Land sind, das auf einen Bürgerkrieg zusteuert». Politische Gewalt werde akzeptabel, weil die Menschen «das Gefühl haben, dass ihre Regierung nicht legitim ist».
Politische Gewalt nimmt zu
Dazu passt eine Untersuchung der Nachrichtenagentur Reuters, die zum Ergebnis kam, dass politische Gewalt in den USA so schlimm ist wie seit den 1970er-Jahren nicht mehr.
Marsche zitiert den pensionierten Colonel der US-Armee Peter Mansoor, der glaubt, dass ein Bürgerkrieg «ein freier Kampf wäre, Nachbar gegen Nachbar, basierend auf Glauben, Hautfarbe und Religion». Das ist dicht dran an dem, was im Film «Civil War» zu sehen ist.
Marsch auf Washington D.C.
«Civil War» beginnt mitten im Konflikt. 19 Bundesstaaten haben sich abgespalten. Texas und Kalifornien ziehen mit ihren Streitkräften nach Washington D.C., um den zwielichtigen Präsidenten zu stürzen. Der hat das FBI aufgelöst, Zivilisten mit Drohnen attackiert und den 22. Zusatzartikel zur Verfassung ausser Kraft gesetzt, der die Amtszeit auf maximal zwei Perioden begrenzt.
Die Streitkräfte stehen kurz vor der Einnahme der Hauptstadt. Deshalb reist die erfahrene Kriegsfotografin Lee (Kirsten Dunst) mit ihrem Partner Joel (Wagner Moura) und zwei weiteren Journalisten mit dem Auto von New York, über Pennsylvania und die Virginias bis nach Washington. Sie wollen mit dem Präsidenten ein letztes Interview im Weissen Haus führen.
«Civil War» ist ein sehenswertes Road Movie, das episodenhaft die Schrecken des Krieges und den Alltag von Kriegsberichterstatterinnen zeigt. Durch den leidenschaftslosen Blick der vier erlebt der Zuschauer, wie die USA im Bürgerkrieg aussehen könnten: Massengräber, Flüchtlingslager in Football-Stadien, Kleinstädte, die versuchen, den Krieg zu ignorieren. Überall gibt es Bewaffnete.
Wieso kämpfen sie überhaupt?
Was der Film offen lässt: Wie es zum Konflikt gekommen ist. Es gibt keine Anspielungen auf die aktuelle Situation der USA. Die politischen Ziele der gegnerischen Parteien werden nicht thematisiert. Dadurch erscheint der Krieg sinnlos. «Ihr wisst nicht, für welche Seite die anderen kämpfen?», fragt ein Journalist einen Scharfschützen während einer Schiesserei. Die Antwort: «Jemand will uns töten. Wir versuchen, sie zu töten.»
An einer anderen Stelle fragt ein Bewaffneter einen der Journalisten, was für eine Art Amerikaner er wäre. Die Antwort bleibt offen. Das Gespräch endet mit Toten.
Dass Texas und Kalifornien Verbündete sind, wäre in der Realität nicht vorstellbar. Der eine Bundesstaat erzdemokratisch, der andere erzrepublikanisch. Regisseur Alex Garland hat das mit Absicht gemacht. Es ging ihm darum, «eine Art reflexive, polarisierende Position zu umgehen, in die die Leute fallen könnten». Das ist ihm geglückt.
Weil der Präsident negativ dargestellt wird, könnten die Rechten sagen: «Seht her, das ist es, was wir die ganze Zeit meinen: Die Bundesregierung in Washington D.C. ist unfähig und zerstört unser Land.» Und Linke könnten sagen: «Ein Amtsinhaber, der seine Macht missbraucht, zerstört die Demokratie und die Einheit des Landes.» Insofern betitelte die Zeitschrift «The Atlantic» ihre Kritik richtig: «Ein Bürgerkriegsfilm, bei dem es niemanden zu bejubeln gibt.»
Der Film ist so ausgeglichen, dass er kurz an der Beliebigkeit vorbeischrammt.
Was wird aus «Aus vielen eines»?
Alex Garlands Ziel: Er möchte, dass der Film eine Diskussion über Polarisierung und Populismus auslöst. Ob er das tut, ist fraglich.
Eines macht «Civil War» auf jeden Fall: Angst vor den USA, wo der Wappenspruch des Präsidentensiegels «Aus vielen eines» bedeutungslos geworden ist.
Kinostart: 18.4.2024