«Morgen früh werdet Ihr guillotiniert.» Erstaunlich gefasst nimmt Louis XVI. das Urteil zur Kenntnis, obwohl er bis vor kurzem noch gedacht hatte, die französischen Revolutionäre seien ihm gnädig gestimmt. Drei Bitten habe er jedoch: Er wünsche drei Tage Aufschub, er wolle noch einmal seine Familie treffen und er wolle ein Rasiermesser, damit er sich rasieren könne.
«Die Guillotine ist Rasiermesser genug» klingt es höhnisch aus der zweiten Reihe. Der freche Spruch zeigt, wie tief der einstige König gefallen ist, er ist vom Gott zum Menschen geworden. Er, dem bis anhin jeder Wunsch erfüllt wurde, darf sich nicht einmal mehr die Bartstoppeln abrasieren.
Im Zentrum der Zeitenwende
«Le Déluge» zeigt die letzten Tage von Louis XVI. und seiner Gattin Marie Antoinette, gespielt von Guillaume Canet und Mélanie Laurent. Im Zuge der Französischen Revolution wurden die beiden verhaftet, verurteilt und hingerichtet.
Diese bedeutende Zeitenwende, die Abkehr vom Ancien Régime hin zur Republik, zeigt «Le Déluge» ganz aus der Sicht des Königspaares, als Kammerspiel hinter Gefängnismauern.
«Le Déluge ist kein politischer Film», sagt Gillaume Canet. Es gehe in erster Linie um die Beziehung zwischen Louis XVI. und Marie Antoinette in dieser ungewöhnlichen Situation. In Haft muss das Paar alle Gewohnheiten ablegen und ein einfaches Leben führen.
Damit kommt Louis XVI. deutlich besser zurecht, weil er sich in seiner Rolle als König nie wohlgefühlt hat. «Er war noch ein Kind, als er König wurde», sagt Canet, «und er blieb lange ein Kind, weil er möglicherweise Asperger hatte».
Vom goldenen Käfig in den Kerker
Der Film zeigt die Menschwerdung eines gottgleichen Monarchenpaares und zeigt durchaus Mitleid mit seinen Hauptfiguren. Die beiden werden als Opfer ihrer Umstände gezeigt, die wenig Einfluss auf das Zeitgeschehen hatten.
«Sie hatten gar keine Möglichkeit, das Land zu regieren», sagt Mélanie Laurent. Doch sie hätten sterben müssen, damit die Französische Revolution zu Ende gebracht werden konnte.
Französischer Filmadel in Locarno
Dank der französischen Stars Mélanie Laurent und Guillaume Canet ist dieses Kammerspiel gelungen. In Locarno durfte das prominente Duo auf der Piazza Grande den «Excellence Award Davide Campari» entgegennehmen.
Canet gibt den König hinter einer dicken Maske als eigentümlich weltfremden und naiven Sonderling, der am liebsten nur Vater und Ehemann wäre. Mélanie Laurents Marie Antoinette ist stiller und ernster als andere Interpretationen.
«Ist putzen schwierig?»
In der Hoffnung, nach der Revolution ein neues Leben anfangen zu können, fragt sie ihren Kammerdiener nach der Lebensrealität gewöhnlicher Menschen: Wie bekommt man ein Haus, will sie wissen, und: «Ist putzen schwierig?»
Eine Frage, die sich erübrigte. Denn einige Monate nach der Exekution ihres Mannes fiel bekanntlich auch für Marie Antoinette die Guillotine.