Über Jahrzehnte hinweg entzückte der Berner Schriftsteller, Fotograf und Filmer René Gardi (1909-2000) ein internationales Publikum mit seinen Berichten vom «schwarzen Kontinent».
Christraud Geary, Kunstkuratorin aus Boston, bezeichnete Gardi gar als den einflussreichsten Afrika-Experten im deutschsprachigen Raum der 50er, 60er und 70er Jahre.
Auch im Schweizer Fernsehen war der einstige Sekundarlehrer omnipräsent. Mit seiner eigenen Sendung «René Gardi erzählt», in der er ab 1958 im Duktus des weitgereisten Onkels Vorträge über Afrika hielt.
«Sehnsucht nach dem Unberührten»
Aus heutiger Sicht mögen seine an Dia-Abende erinnernde Vorträge wenig telegen wirken. Damals trafen Gardis Schilderungen über die mitgebrachten Artefakte, Kultobjekte und Bilder dagegen präzise den Geschmack des Publikums.
Gardi bediente in einer Zeit, in der Reisen nach Afrika noch ein Wagnis für wohlhabende Abenteurer waren, das wachsende Bedürfnis nach Exotik. Getrieben von einer «unstillbaren Sehnsucht nach dem Unberührten», wie ihm oft attestiert wurde.
In schwärmerischem Erzählton pries er die Bewohner Nordkameruns als «unsere Brüder im Busch», auf die er viele Tugenden des «edlen Wilden» projizierte. Gleichermassen «freiheitsliebend» wie «unverdorben» seien sie und darum im Geiste eidgenössischen Berglern verwandt: «Könige ohne Untertanen» in einem «Land ohne Komplexe».
Spieglein, Spieglein im fernen Land
Unbewusst gab Gardi damit mehr von sich, seiner Haltung und seiner Heimat preis, als ihm lieb gewesen sein dürfte. Genau diese Spiegelung im Fremden war aber das, was Regisseur Mischa Hedinger am meisten interessierte. Deshalb heisst seine zu 100 Prozent aus Archivmaterial geschnittene Dokumentation «African Mirror».
Im Zentrum steht folglich der Mensch René Gardi, nicht dessen Forschungsgegenstand, hinter sich dieser gerne versteckte. Über sich selbst sprach Gardi nur ungern, wie folgendes Zitat in «African Mirror» illustriert: «Eigentlich habe ich es immer vermieden, über mich zu schreiben. Es geht nicht um mich. Meine Texte und Bilder sollen nicht vielfach gebrochen oder an einem Wust an Überlegungen gespiegelt werden.»
Knapp zwei Dekaden nach Gardis Tod, beginnt mit Mischa Hedingers Doku nun die Aufarbeitung im Kino. Denn wirklich kritisch hatte sich bisher niemand mit dem Werk des Autodidakten auseinandergesetzt.
Unkommentierte Schattenseiten
Hedingers pointiertem Schnitt ist es zu verdanken, dass erstmals René Gardis Schattenseiten augenfällig werden. So erfahren wir beispielsweise, dass Gardi wegen «Unzucht mit Kindern» verurteilt wurde, bevor er sich obsessiv mit Afrika zu beschäftigen begann. Oder dass er sich zu Forschungszwecken manchmal wünschte, dass die Schweiz «irgendeine Kolonie in den Tropen» hätte.
Da «African Mirror» auf einen Erzähler verzichtet, bleibt es dem Publikum überlassen, wie das alles zu interpretieren ist. Das kann man raffiniert finden, weil einem die Doku keine Moralpredigt hält. Oder gefährlich, wie Hedinger den bedeutungsoffenen Film im Rahmen der Berlinale selbst nannte.
René Gardis Sohn Bernhard steht «African Mirror» kritisch gegenüber, wollte sich auf Anfrage aber nicht zum Film äussern.
Kinostart: 14.11.2019