- In «Die göttliche Ordnung» blickt die Schweizer Regisseurin Petra Volpe anhand der Geschichte einer Hausfrau und Mutter auf den Kampf um das Frauenstimmrecht zurück.
- Mit «Die göttliche Ordnung» zeigt Petra Volpe: Sie ist eine meisterhafte Erzählerin und schafft symbolträchtige Szenen, ohne ins Bedeutungsschwangere abzugleiten.
Symbolik ohne Emphase
Die junge Nora Ruckstuhl hat ein Gute-Nacht-Ritual für ihre beiden Söhne. Einer hält ihr die Augen zu, der andere dreht am Leuchtglobus. Nora tippt auf die rotierende Erdkugel. Dann erzählt sie Luki und Max etwas über jene Weltgegend, in der ihr Finger gelandet ist.
An diesem Abend liegt das Zufallsziel mitten im Pazifik. Und Nora erzählt von blinden, seltsamen Tiefseefischen, die keine Ahnung davon haben, dass es weit, weit über ihnen Licht gibt, Luft und Wärme.
Das ist eine typische Szene für Filmemacherin Petra Volpe: perfekt in die Handlung eingebettet, symbolträchtig aufgeladen, aber ohne Bedeutungshuberei.
Das Durchschnittsleben der 1970er
Nora (Marie Leuenberger) hat mehr als eine Ahnung. Sie lebt in den 1970er-Jahren als Hausfrau das beschauliche Dorfleben mit ihrem Mann Hans (Max Simonischek) und den Buben wie tausende andere Schweizerinnen auch. Sie kümmert sich um den grantigen Schwiegervater.
Der lebt bei der jungen Familie, seit er seinem anderen Sohn zögernd den Hof überlassen hat. Und er hebt grosszügig die Füsse beim Zeitungslesen, wenn Nora mit dem Staubsauger durch die Stube fährt.
Liebevoll ausgestattet
Petra Volpe zeichnet ein schweizerisch-dörfliches Universum in diesem Film, das den älteren unter uns überaus bekannt vorkommt. Dabei hilft die liebevolle Ausstattung, welche die frühen 1970er-Jahre bis ins letzte Detail perfekt rekonstruiert, manchmal gar mit leicht vergilbten Originalpublikationen aus der Zeit.
Aber es ist die komplexe Figurenkonstellation, die einen sofort ins Geschehen zieht. Der Film exponiert nicht behäbig und aufzählend, sondern mit dichter, drängender Beiläufigkeit.
Wenn Hans Ruckstuhl im Betrieb von der Chefin vor versammelter Mannschaft befördert wird – und die gleiche Chefin (Therese Affolter) dann noch schnell ihre Mannen darauf aufmerksam macht, dass sie und ihr Komitee gegen die Einführung des Frauenstimmrechtes natürlich auf die Vernunft ihrer Angestellten zählen, dann ahnen wir als Zuschauer bereits den kommenden ehelichen Konflikt der Ruckstuhls.
Unerfüllte Erwartungen und Rebellion
Die gleiche Dichtigkeit erreicht Volpe bei Noras Besuch auf dem Stammhof ihres Mannes bei der Schwägerin. Die rebellische Tochter hat Zimmerarrest und hört trotzig laute Rockmusik.
Ihre Mutter weiss sich nicht mehr zu helfen, und der Vater ist offensichtlich nicht nur unglücklich auf dem Hof, sondern von den Erwartungen seines eigenen Vaters komplett überfordert.
Ein durchaus explosives Familiengemisch also. Und trotzdem hat Nora genügend Energie, um sich auf eine Teilzeitstelle bei Kuoni zu bewerben, wo sie ihre Lehre gemacht hatte. Dass ihr Mann dagegen ist, sie auswärts arbeiten zu lassen, erstaunt sie ein wenig. Dass er es ihr rechtlich gar verbieten, beziehungsweise nicht erlauben kann, empört sie.
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Aber wirklich empört ist sie erst, als die rührige Frau Dr. Wipf die Frauen des Dorfes zusammenruft und ganz selbstverständlich von ihnen Spenden für die Abstimmungspropaganda gegen das Frauenstimmrecht erwartet. Nora wird aktiv, zusammen mit der alten Vroni (Sibylle Brunner) und schliesslich ihrer Schwägerin nimmt sie den Kampf für das Frauenstimmrecht auf.
Meisterin ihres Fachs
Petra Volpe hat das Drehbuch geschrieben zu Bettina Oberlis «Lovely Louise» und jenes zu Alain Gsponers «Heidi» von 2015. Vor allem aber hat sie mit «Traumland» einen der unerbittlichsten, dunkelsten und stärksten Schweizer Filme der letzten Jahre überhaupt geschaffen. Sie beherrscht nicht nur ihr Handwerk mit stupender Präzision, sie kann auch mit Registern und Stimmungslagen umgehen.
Gelegentliche Überraschungen wie der kurze Auftritt der schwedischen Schauspielerin Sofia Helin («Die Brücke») in einem liebevoll nachgezeichneten Selbstentdeckungs-Hippie-Seminar für Frauen drehen die Stimmung bisweilen ins ausgelassen Alberne, schaffen einen utopischen Kontrast zum beinhart konservativen Alltag. Bei der Schwedin und den Schwestern in Zürich entdeckt Nora den Tiger zwischen ihren Beinen.
Symbolträchtige Kleinigkeiten schaffen Stimmung. Etwa, wenn Nora auf ihrem Bett auf dem Bauch liegend Reiseprospekte studiert und mit ihren nackten Füssen in der Luft schon die Weite und die Freiheit spürt – während wir Zuschauerinnen und Zuschauer im Gegenzug und leicht paradox die präzise rekonstruierte Enge und Kleinteiligkeit des Schweizer Lebens in den 1970er-Jahren geniessen.
Neue Leichtigkeit des Schweizer Films
Denn da steckt die unerwartete zusätzliche Erkenntnis, welche dieser Film vermittelt. Da die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz noch keine 50 Jahre zurückliegt, macht «Die göttliche Ordnung» auf verblüffende Weise Mut: Das gesellschaftliche Denken kann sich radikaler und vor allem positiver wandeln, als wir es im gegenwärtigen Alltag empfinden.
«Die göttliche Ordnung» ist dramatisch und erhellend, versöhnlich und aufklärend, vergnüglich und erschreckend. Es kommt selten vor, dass ein Deutschschweizer Spielfilm mit dieser Leichtigkeit vom Drama zur Komödie wechselt, dabei die Satire streift, ohne den Realismus aufzugeben und schliesslich wieder ganz selbstverständlich im Familienfilm mündet.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 20.01.2017, 7:20 Uhr