Michael Jary und Bruno Balz lernen sich im pulsierenden Berlin der frühen 1930er-Jahre kennen. Es ist der Beginn einer lebenslangen Freundschaft und jahrzehntelangen Zusammenarbeit: Rund 1000 Lieder und Melodien haben sie geschrieben, für 250 Kinofilme.
Es ist die Zeit des deutschen Revuefilms, die Nationalsozialisten nutzen die Unterhaltungsbranche bald für ihre Zwecke. Auch Jary und Balz werden mit ihren Film-Schlagern zum nationalsozialistischen Eskapismus beitragen. Doch ganz so einfach ist es nicht, wie die Doku «Im Schatten der Träume» von Martin Witz zeigt.
Der Neutöner
Für Michael Jary ist die Unterhaltungsmusik zunächst nur Mittel zum Zweck. Er begeistert sich für Neue Musik, studiert bei Arnold Schönberg und Igor Strawinsky. Für die Nazis war diese Musik-Richtung «entartete Kunst».
Sein Abschlusskonzert wird vom sogenannten Kampfbund für deutsche Kultur gestürmt mit den Worten: «Ich protestiere im Namen der deutschen Künstlerschaft gegen das intellektuell bolschewistische Musik-Gestammel eines polnischen Juden».
«Zwar war mein Vater weder Pole noch Jude. Aber mit dieser Diffamierung wurde ihm der Boden unter den Füssen weggezogen», ergänzt seine Tochter Micaela Jary. Viele Künstlerkollegen verlassen das Land, doch die Freunde Jary und Balz versuchen, sich zu arrangieren. Gemeinsam produzieren sie Hits in Serie, die Zarah Leander zum Star der NS-Zeit machen. Und sie schlagen Kapital aus der Traumfabrik Babelsberg.
Der schwule Texter
Doch Bruno Balz lebt offen schwul und auch eine Scheinehe mit seiner Cousine schützt Balz nicht vor der Verfolgung durch die Nazis. Zweimal wird er wegen Homosexualität inhaftiert, 1941 landet er in den Folterkellern der Gestapo, ihm droht das KZ. Doch Jary braucht ihn für die Schlager im Durchhaltefilm «Die grosse Liebe».
Micaela Jary erinnert sich in der Doku: «Goebbels wünschte sich ein Lied für den Führer. Mein Vater musste da hin und sagte: ‹Mein Texter ist gerade verhaftet worden›.» Goebbels holt Balz aus der Haft, denn er kann etwas, das die Nationalsozialisten brauchen.
Verpackungskünstler im Nazi-Staat
Der nächste Titel des Duos Jary-Balz, «Davon geht die Welt nicht unter», wird ein Welthit und eine Durchhalteparole. Aber für wen eigentlich? «Man konnte es auslegen, wie man wollte. Man kann sagen, von dem Bombenhagel geht die Welt nicht unter für uns oder von den Bösartigkeiten der Nazis», erklärt Bruno Balz im Film.
«Im Schatten der Träume» porträtiert Jary und Balz als Verpackungskünstler. Er zeigt, wie komplex die Musik – trotz ihrer eingängigen Refrains – ist. Und, dass die vermeintlich simplen Texte doppelbödig sind. Komponierten sie nun im Dienst oder im Schatten des Nazi-Staates? Regisseur Martin Witz überlässt das Urteil dem Publikum.
40 Jahre Hit-Garant
Die Karriere des kreativen Duos geht nach dem Kriegsende heiter weiter. Sie schaffen es in die Zeit des Wirtschaftswunders, ins Fernsehzeitalter. So zaubert Balz in den 60er-Jahren, kurz bevor er sich aus dem Showbusiness zurückzieht, noch mal eben den Text zu Heintjes Song «Mama» aus der Schublade.
«Im Schatten der Träume» ist ein berührender und erhellender Film über ein Stück deutsche Musikgeschichte und ein Dreamteam, das sich scheinbar mühelos zwischen Anpassung und Widerstand bewegt hat, zwischen Erfolg und Gefahr, Unterhaltung und Propaganda.