Alfred Dreyfus, Hauptmann der französischen Armee, ist soeben wegen Hochverrat verurteilt worden.
Er wird öffentlich erniedrigt und auf eine einsame Insel verbannt. Dort dürfen nicht mal die Wärter mit ihm reden. Eine unmenschlich harte Strafe, die zudem auf einer mangelhaften Beweislage basiert.
Ein Notizzettel mit Geheiminformationen für die Deutschen soll seine Handschrift tragen. Mehr Beweise gibt es nicht und auch der Prozess ist eine Farce. Doch Dreyfus ist «der einzige Jude im Haus». Das wird ihm im antisemitischen Klima des 19. Jahrhunderts zum Verhängnis.
Auch der neue Leiter des Nachrichtendienstes, Georges Picquart, ist bekennender Antisemit. Was ihn aber nicht davon abhält, eines Tages die Wahrheit zu erkennen: Dass Dreyfus zu Unrecht verurteilt wurde und der echte Verräter immer noch frei herumläuft.
Genau das verkündet er der Presse und bringt damit, zum Entsetzen seiner Vorgesetzten, einen der grössten Justizskandale ans Licht.
Das menschenverachtendste Zitat
«Die Römer gaben den Löwen Christen, wir geben ihnen Juden.» Diesen grausamen Satz äussert ein General zu Picquart während Alfred Dreyfus verurteilt wird.
Der Regisseur
Roman Polanski gehört zweifellos zu den bedeutendsten Regisseuren Europas. Der 1933 in Paris geborene, polnisch-französische Doppelbürger ist selbst jüdischer Abstammung und verbrachte einen Teil seiner Kindheit im Krakauer Getto.
1977 wurde Polanski in den USA angeklagt, eine Minderjährige vergewaltigt zu haben. Das Opfer hat ihm mittlerweile verziehen, doch die US-Justiz verfolgt ihn immer noch.
Die Academy ehrte Polanski für sein Holocaust-Drama «Der Pianist» 2003 mit dem Regie-Oscar, bevor sie dem öffentlichen Druck nachgab und ihn aus ihren Reihen verbannte.
Nun versucht Polanski, subtil Parallelen zwischen sich und Dreyfus zu ziehen. Schliesslich ist er wie Dreyfus ein berühmter Jude, der in Frankreich lebt und sich als Opfer einer moralisch-politischen Verschwörung sieht.
Dass der Vergleich hinkt, dürfte Polanski allerdings bewusst sein. In Interviews äusserte sich der 86-Jährige dementsprechend vorsichtig. Was seine Ehefrau Emmanuelle Seigner allerdings nicht davon abhielt, diese Spiegelung zu betonen.
Fakten, die man wissen sollte
«J’accuse» basiert auf dem 2013 erschienenen Roman «Intrige» von Robert Harris. Roman Polanski schrieb zusammen mit Harris das Drehbuch für den Film und blieb dabei nah an den historischen Fakten.
Wie das Buch rollt der Film den Dreyfus-Skandal akribisch-nüchtern auf und ist doch packend wie eine Detektivgeschichte.
Das Urteil
Indem Polanski den oft verfilmten Stoff konsequent aus Picquarts Perspektive erzählt, gelingt es ihm, die Spannung hochzuhalten.
Der Film zeigt, wie stark der Antisemitismus in Frankreich verbreitet war. Und wie die Machtkämpfe in den höchsten Kreisen des französischen Militärs das Land in eine schwere moralische Krise stürzten.
Eindrücklich erdrückend sind dabei die damaligen Überwachungen, der Rassenhass, und die Volkshetze. Die treffende Schilderung dieser nicht totzukriegenden Übel macht «J’accuse» zu einem Zeitzeugnis, das unheimlich aktuell wirkt.
Kinostart: 13.02.2020
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 13.02.2020, 7:20 Uhr