Wenn man über die «John Wick»-Filme schreibt, geht es meistens darum, dass sie dem Action-Genre neuen Drive gegeben haben. Statt Kämpfe schnell zu schneiden, gibt es lange Einstellungen mit kunstvollen Choreografien.
Der Staat im Staat
Viel geschrieben wurde bereits über die Unterwelt, in der Killer John Wick lebt: Das organisierte Verbrechen hat ein verstecktes, globales Regime gegründet. Zwölf Verbrecherfürsten bilden die Hohe Kammer. Sie herrschen über Killer und andere Kriminelle.
Bezahlt wird mit Goldmünzen. Alles ist streng hierarchisch geregelt. Wer gegen die Regeln verstösst, wie John Wick, wird ausgestossen und gejagt.
Es gibt aber auch eine weltweite Hotelkette, die Continentals. Die Hotels sind neutrale Territorien für die Verbrecher, die dort nicht ihre Konflikte austragen dürfen.
John Wick und die Hochkultur
Worüber im Kontext von John Wick nicht gesprochen wird, ist die Kunst. Dabei spielt Hochkultur erstaunlicherweise eine wichtige Rolle. John Wick kämpft oft nicht, wie genreüblich, in dunklen Gassen oder miesen Bars, sondern unter anderem in antiken Ruinen. Ein ungewöhnlicher Ort für einen Actionfilm.
Für die Aussenaufnahmen des Continental New York wurde beispielsweise das Beaver Building benutzt. Das Gebäude von 1904 steht auf der offiziellen Liste der Kulturdenkmäler in den USA.
Es geht aber über Äusserlichkeiten hinaus: In John Wicks Unterwelt geniessen und konsumieren nur die Obergangster die Hochkultur.
Tod im Museum
In Teil zwei bringt der Titelheld zwei Mitglieder der Hohen Kammer um. Eines davon feiert gerade Geburtstag in den römischen Caracalla-Thermen.
Der Nachfolger mag Kunstmuseen. In einem New Yorker Museum veranstaltet er eine Party, die John Wick in ein Massaker verwandelt. Gedreht wurde in der Nationalgalerie für moderne Kunst in Rom.
John Wicks Gegenspieler im vierten Teil erledigt seine Geschäfte in der Pariser Oper und dem Denon-Flügel des Louvre. Das finale Duell findet vor der Sacré-Cœur-Kirche statt.
Der Chef des Continental New York hört Verdi. Zum Soundtrack gehören Tschaikowsky und Chopin.
Kunst für Gangster
Es gibt eine weissrussische Gangsterchefin, die ein Balletttheater leitet, dessen Tänzerinnen im Film von Mitgliedern des New York City Ballet dargestellt werden.
Dabei werfen die Actionfilme einen deprimierenden Blick auf die Stellung von Kunst und Kultur. Die Behauptung des Bildungsbürgertums, Kunst mache den Menschen besser, ist in John Wicks Welt gescheitert.
Gemälde und Kulturinstitutionen sind degradiert zu teuer erkauften Prestigeobjekten, mit denen sich die Verbrecherfürsten schmücken wie mit einer Goldkette.
Kunst soll nichts hinterfragen, sondern ist ein Accessoire der Macht, ästhetischer Genuss, ein Luxus, den die Gangster sich leisten können. Mit den erworbenen Objekten zeigen sie ihren Reichtum, ihren Erfolg und ihren Einfluss.
Das «Ballet d'action» geht weiter
Es ist wie im Mittelalter: Kunst und Kultur sind in der Hand der Herrschenden. In ihren kunstsinnigen Gebaren erinnern die Verbrecher an barocke Herrscher.
Über diese Themen wird in den wortkargen Krachern natürlich nie gesprochen, aber sie sind offensichtlich. Kulturkritik gehört zur Franchise. Auch in Zukunft: Ein kommender Spin-Off mit Ana de Armas als Killerin heisst «Ballerina».
Kinostart «John Wick 4»: 23. März 2023