Eine wirkliche Biografie ist Bradley Coopers Film über den Komponisten und Dirigenten Leonard «Lenny» Bernstein nicht. Der Film handelt vor allem von Bernsteins Beziehung mit Felicia Cohn Montealegre, die er 1951 heiratet und mit der er drei Kinder hat.
Vor und während der Ehe hat Bernstein immer wieder Liebesaffären mit Männern. 1970 beendet Felicia die Beziehung schliesslich. Als sie später an Krebs erkrankt, kehrt Bernstein zurück und kümmert sich um sie bis zu ihrem Tod 1978.
Bernstein ganz privat
Cooper will einen leidenschaftlichen Bernstein zeigen, einen, der sein Herz auf der Zunge trägt und der so viel Liebe zu vergeben hat, dass er alle um sich herum verzaubert und in seinen Bann zieht.
Dieser Bernstein ist rastlos, Einer, der nie ganz erwachsen wird. Der die Bewunderung und Liebe seiner Mitmenschen braucht wie die Luft zum Atmen – und der seiner Beziehung zu Felicia so viel Toleranz, Geduld und Nachsicht abverlangt, dass sie trotz grosser Liebe zerbricht.
Bradley Cooper – an der Seite einer überzeugenden Carey Mulligan als Felicia – legt auch schauspielerisch den Schwerpunkt auf diesen exzentrischen, narzisstischen Menschen. Der Film konzentriert sich fast ausschliesslich auf sein Privatleben.
Suchen nach dem «Maestro»
Der Musiker Bernstein, der innovative Komponist der «West Side Story», der weltberühmte, leidenschaftliche Dirigent, ist in diesem Film nicht wirklich zu spüren. Insofern ist der Titel «Maestro» für diesen Film nicht ganz stimmig.
Das heisst nicht, dass die Musik fehlt: Bernsteins eigene Werke liegen als Score über dem Film. Der erste Teil ist gar als eine Art Musical inszeniert. Doch darüber hinaus werden seine Werke nie wirklich zum Thema.
Zwar sieht man Bernstein ab und zu am Klavier klimpern oder am Dirigentenpult stehen. Aber selbst in einer der Szenen, die im Film den Höhepunkt von Bernsteins Dirigentenkarriere darstellt, der Aufführung von Mahlers 2. Sinfonie in der englischen Kathedrale von Ely, ist von dieser angeblichen Leidenschaft für die Musik wenig zu spüren.
Coopers Dirigieren mag äusserlich dem des richtigen Maestro Bernstein ähneln – der grosse Dirigent aber, aus dem die Musik geradezu herausströmte, dessen Leidenschaft in der Musik, die er dirigierte, hörbar war, ist nicht zu sehen und zu spüren. Weder in dieser Szene noch im gesamten Film.
Eine einseitige Biografie
Vieles ist weggelassen: Wie hat Bernstein an seinen Werken gearbeitet, wie ist zum Beispiel die «West Side Story» entstanden? Wie hat er seine Doppelrolle als Komponist und Dirigent wahrgenommen und wie schaffte er den Spagat zwischen der elitären Welt der klassischen Symphonieorchester und der Welt der Unterhaltungsmusicals? Diese hat er nicht zuletzt mit seiner «West Side Story» revolutioniert und auch in Bildungsbürgerstuben gebracht.
Bradley Coopers «Maestro» hat einige schöne Einfälle – die erwähnte Musik als Filmscore, auch das Spiel mit den jeweils zeittypischen Filmformaten und Stilmitteln. Einzelne feine Dialoge zwischen Coopers Bernstein und Mulligans Felicia gehen unter die Haut.
Im Grossen und Ganzen ist «Maestro» aber ein seltsam einseitiger Film.
Kinostart am 7. Dezember 2023.