Vom Klang des Namens her hat die nordfranzösische Stadt Roubaix nichts Abschreckendes. Man denkt an das renommierte Radrennen Paris-Roubaix, oder an die einstige Blüte der Textilindustrie.
Keine Bilderbuch-Stadt
Aber gleich die ersten Bilder des Films «Roubaix, une lumière» räumen mit verklärenden Ideen auf: Nachts brennt ein geparktes Auto, Betrunkene streiten sich vor einem Hauseingang. Auf dem Polizeiposten behauptet einer, er sei von Islamisten mit einem Schweissbrenner angegriffen worden.
Der aus Roubaix stammende französische Filmemacher Arnaud Desplechin ist weder bekannt für Krimis noch für Sozialrealismus. In der Regel spielen seine Autorenfilme in bürgerlichen Kreisen und tragen stark autobiografische Züge.
Wie einst François Truffaut lässt er gern ein Alter Ego seiner eigenen Person auftreten. Doch aus seinem neuen Film hält er die eigene Biografie heraus. Bis auf die ihm vertraute Kulisse: Der Film dreht sich um einen Kriminalfall, der sich 2002 dort ereignet hat.
Ein Mord, zwei Verdächtige
Es geht um einen mutwillig gelegten Hausbrand und um die Leiche einer alten Frau, die nicht an einer Rauchvergiftung gestorben ist.
Zwei junge Nachbarinnen (Léa Seydoux und Sara Forestier) werden als Zeuginnen aufgeboten. Aber weil sich die beiden drogensüchtigen Frauen auffällig defensiv verhalten und sich mit ihren Aussagen rasch in Widersprüche verstricken, geraten sie ins Zentrum der Investigation.
Wer lügt, muss büssen
Die Ermittlungen leitet Hauptkommissar Yacoub Daoud (Roschdy Zem). Er erweist sich als ein empathischer Polizist, der nicht nur Geständnisse herauspresst, sondern den verhörten Personen auch ihre Optionen erklärt.
Daoud stammt selbst aus Roubaix. Er kennt die gefährlichen Stadviertel. Er weiss, wie die Leute ticken. Auch diesen beiden Frauen macht er schnell klar: Wenn ihr lügt, dann wird es für euch noch viel schlimmer.
Ein weiser Detektiv
Inwieweit die beiden Frauen Mitwisserinnen oder gar Mittäterinnen waren, ist derweil nicht entscheidend für den Spannungsbogen des Films. Arnaud Desplechin geht es um eine Milieustudie.
Vor allem aber geht es ihm um den hochmoralischen Charakter des Kommissars Daoud, und um dessen Arbeitsweise: Wie er nachbohrt, wie er beschwichtigt, wie er manchmal pragmatische Drohungen ausspricht und trotzdem immer mitfühlt.
«In allen brennt ein Licht»
Roschdy Zem verkörpert diesen Daoud mit viel Charisma und reichlich Autorität – als eine Art moderner Kommissar Maigret.
Im Gespräch erklärt Regisseur Desplechin die nahezu biblische Dimension seiner Figur wie folgt: «Daoud glaubt fest daran, dass alle Menschen – ob Opfer oder Täter – eine Seele haben. Unabhängig von den sozialen Schichten brennt in allen ein Licht. Und dieses Licht zu finden und es freizusetzen, ist Daouds Arbeit.»
Der lange Weg zur Wahrheit
«Roubaix, une lumière» ist mit seinen 120 Minuten etwas zu lang geraten. Aber vor allem die zweite Hälfte lebt von der präzisen Beobachtung, wie Daoud zielgerichtet und schichtenweise die Wahrheit freilegt.
Die Wahrheit selbst ist zu diesem Zeitpunkt für das Publikum kaum noch interessant. Die Art und Weise hingegen, wie zu ihr gefunden wird, dafür umso mehr.
Kinostart: 24. Oktober