Es ist kein Zufall, dass Demi Moore die Hauptrolle in «The Substance» spielt. Um Moore, die in den 1990er-Jahren eine der bestbezahlten Hollywood-Schauspielerinnen war und die oft auf ihren Körper reduziert wurde, ist es in den letzten Jahren still geworden. In «The Substance» spielt sie Elisabeth Sparkle. Einst ebenfalls ein grosser Filmstar, hat ihr Stern auf dem Walk of Fame inzwischen einige Risse.
Dass Elisabeth Sparkle nicht mehr aussieht wie früher, ist ein Problem. Deshalb soll ihre Fitnesssendung von nun an jemand Jüngeres moderieren. «Mit 50 hört es halt auf», erklärt ihr der schmierige TV-Produzent Harvey. «Die Leute wollen immer etwas Neues».
Von klinischer Künstlichkeit
Die Frage, was genau aufhört, kann er nicht beantworten. Genüsslich isst er dabei Crevetten mit Cocktailsauce, die Kamera fängt in Grossaufnahme seinen schmatzenden Mund ein. Die Geräusche sind verstärkt und unangenehm verzerrt.
Bereits zu Beginn von «The Substance» wird klar: Wir befinden uns hier in einer überzeichneten Version der Realität. In diesem Film ist absolut nichts subtil, und er macht daraus auch kein Geheimnis.
Ekel-Close-Ups wie jene von Harvey wechseln sich mit perfekt arrangierten Bildern ab. Von der Kulisse über die Kostüme: Alles ist grell und von einer klinischen Künstlichkeit und Perfektion.
Ich, aber besser
Um Perfektion geht es in «The Substance» auch inhaltlich. Die gefeuerte Elizabeth kauft sich nämlich aus Verzweiflung eine mysteriöse Flüssigkeit: «The Substance». Diese soll eine bessere Version ihrer Selbst aktivieren.
Als sich Elisabeth die Flüssigkeit zum ersten Mal spritzt, krabbelt im wahrsten Sinne des Wortes ein jüngerer, schönerer Körper aus ihr heraus: Sue. Elisabeths alter Körper liegt daraufhin bewusstlos im Bad. Als Sue kann Elisabeth wieder ihre Fitnessshow übernehmen.
Aber die Substanz hat natürlich auch eine Krux: Man darf exakt nur sieben Tage in seinem jüngeren, schöneren Körper leben. Danach muss man wieder tauschen. Jede Stunde, die man länger als «Besseres Ich» verbringt, wird vom Originalkörper abgezapft. Bleibt man länger als sieben Tage im optimierten Selbst, altert der Originalkörper rapide.
Dass sich Elizabeth nicht an diese Regel hält, ist vorhersehbar. Zu verlockend ist das Leben als Sue. Sie ist erfolgreich, wird vom Fernsehpublikum geliebt und von schönen Männern begehrt.
Meisterlicher Horror
Für Elisabeth beginnt im wahrsten Sinne des Wortes ein Kampf gegen sich selbst. Denn was mit Elisabeths altem Körper passiert, ist von einem verstörenden, meisterhaften Handwerk. Beeindruckende Masken und Prothesen sind dabei nur ein Aspekt der schauerhaften Verwandlung.
Dabei hat der Film ein so sagenhaftes Crescendo, dass man im Kinosessel irgendwann nicht mehr weiss, wie einem bei diesem Wahnsinn geschieht.
Die groteske Satire über Sexismus, über den Jugendwahn der Medienwelt, den Wert der Schönheit und die Angst vor körperlichem Zerfall will nichts Neues aufdecken. «The Substance» setzt seiner Kritik mit jeder verrückten Szene noch eins drauf. Darin ist der Film konsequent und absolut radikal. Ein maximalistisches Meisterwerk.
Kinostart: 19.09.2024