Die irische Designerin Eileen Gray ist für Möbel bekannt, wie zum Beispiel ihren runden, in der Höhe verstellbaren Tisch aus Glas und Metallrohr – er heisst E.1027.
Entworfen hat sie ihn für ihr gleichnamiges Haus, das sie von 1925 bis 1929 zusammen mit dem rumänischen Architekten und Journalisten Jean Badovici baute. Entstanden ist ein weisses Schmuckstück, ein avantgardistisches Meisterwerk der Architektur.
Jahre später – Gray hat das Haus längst verlassen und sich in ein zweites, noch versteckteres zurückgezogen – weilt Jean Badovicis Freund Le Corbusier in dem Haus, das ihn fasziniert und nicht loslässt. Auf Initiative Badovicis bemalt Le Corbusier alle weissen Wände des Hauses mit bunten Fresken.
Malen als Gewaltakt
Schon bald lenken sie viel Aufmerksamkeit auf das Haus – viele meinen, auch das Haus sei Le Corbusiers Werk. Der weltberühmte Architekt verneint dies nie öffentlich.
Gray empfindet die Fresken als Vandalenakt. Sie bleiben dennoch bestehen – bis heute. Die Geschichte des Hauses von Eileen Gray, das Le Corbusier mit seinen Fresken vereinnahmt hat, ist heute bekannt in Kunst- und Architekturkreisen, auch als exemplarisches Beispiel für männliche Vereinnahmung und gewaltsamer Veränderung weiblicher Kunst.
Gekonnte Mischung aus Dokumentation und Fiktion
Die junge Schweizer Filmemacherin Beatrice Minger und der erfahrene Schweizer Architekturfilmer Christoph Schaub erzählen diese unerhörte Geschichte in gemeinsamer Regie. Als Form haben sie die Dokufiktion gewählt: Eine Schauspielerin und zwei Schauspieler verkörpern die drei Hauptfiguren Eileen Gray, Le Corbusier und Jean Badovici in einzelnen Szenen und filmischen Vignetten.
Diese ungewöhnliche Form hätte ihnen erlaubt, den Film ganz konsequent aus Eileen Grays Perspektive zu erzählen, sagt Beatrice Minger. Indem sie – vor allem via Voiceover – auch Eileen Grays Gedankenwelt hörbar machten, hätten sie die Architektur dieses Hauses in ihrer physischen Qualität erfahrbar machen können, so wie es Eileen Gray vorgesehen hatte. Gray hat dieses Haus nie als starre Hülle verstanden.
Architektur wird erfahrbar
Tatsächlich glaubt man auch als Kinozuschauerin, selbst in diesem Haus zu sein, die Raumaufteilung zu erfahren, die Sommerhitze zu spüren, die Mittelmeeraromen zu riechen. Das ist auch der Kamera von Ramon Giger zu verdanken, der das Haus und seine Umgebung meisterhaft einfängt.
Als Gegenstück zu den Szenen, die im Haus bei Roquebrune gefilmt sind und diese Architektur lebendig werden lassen, stehen Szenen, die in einem fast leeren Bühnenraum gefilmt wurden. Mit nur wenigen Requisiten und Projektionen wird imaginärer Raum geöffnet, in dem sowohl biografische Eckpunkte erzählt sind, aber wo sich auch die Gefühls- und Gedankenwelt Eileen Grays entfalten kann.
«E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer» ist ein wunderschöner, aber auch trauriger Film. Traurig deshalb, weil er einmal mehr davon erzählt, wie ein Mann eine Frau und ihre Kunst so überstrahlt, dass sie nicht mehr gesehen wird. Zum Glück hat Eileen Gray im hohen Alter von 90 Jahren ihre Wiederentdeckung noch erleben dürfen. Auch diesen Trost hält der feine Film bereit.