«Wer hat schon die Gelegenheit, une ferme en France – einen Hof in Frankreich – zu erben?», fragt der Vater. «Du meinst, ich sollte dankbarer sein?», entgegnet der Sohn. Dieser kurze Dialog ist das Herz von Simon Baumanns Film «Wir Erben»: ein Schweizer Dokumentarfilm, der zeigt, dass das Erben oft unpassender sein kann, als wir es uns eingestehen wollen.
Baumann richtet seine Kamera auf die eigene Familie. Die Ausgangslage ist simpel: Die Eltern vererben einen Hof in Frankreich, der niemandem in den Kram passt.
Aber es ist nicht nur eine Immobilie. «Der Hof steht symbolisch für den lebenslangen politischen Kampf meiner Eltern», sagt Baumann. «Er ist also sehr aufgeladen mit Idealen.» Selbstversorgung und Unabhängigkeit sind Werte, die die Eltern prägten. Doch passen sie auch in die Lebenspläne der Kinder?
Unsichtbares Erbe
Erben, so zeigt Baumann, ist kein simpler Akt des Empfangens, sondern ein Dauerzustand. Ein ständiges Auseinandersetzen mit dem, was bleibt, ob man will oder nicht. Es sind nicht nur die materiellen Dinge, es sind die unsichtbaren Erbstücke: Glaubenssätze, Gewohnheiten und Urteile, die weitergereicht werden. Es ist das «Das macht man bei uns so».
Baumann stellt sich dieser Konfrontation mit der Kamera – als Sohn und als Regisseur. «Als Sohn hätte ich den Konflikt mit meinen Eltern eher vermieden, als Regisseur brauchte ich ihn. Dieser Zwiespalt war oft schwer auszuhalten», erklärt er.
Die Kamera wird zum Werkzeug, das Nähe provoziert und zugleich Distanz schafft. Baumann konfrontiert den Vater, redet mit der Mutter, nervt den Bruder. So gelingt ihm ein intimes Porträt seiner Familie, das immer wieder universelle Fragen aufwirft.
Am Familientisch wird diskutiert: Verkaufen? Behalten? Ein Ferienhaus am Meer? Die Diskussion dreht sich bald nicht mehr nur um Besitz, sondern um Werte und Überzeugungen. Das klingt dann so: «Ich habe Mühe mit dem Anhäufen von Besitz, von Grundstücken», sagt eine Schwiegertochter. Die Mutter: «Eigentlich ist es eine Luxusdiskussion, die wir hier führen.»
Erbe ist nicht nur materiell
Das Gespräch gleicht einer Gratwanderung. «Im Film balancieren wir auf Messers Schneide: Wir wollen nicht jammern, aber auch nicht schweigen», erklärt Simon Baumann. «In der Schweiz wird kaum über Besitz gesprochen. Es fehlt Transparenz bei den Besitzverhältnissen, oft aus Angst, dass andere einen mit anderen Augen sehen, sobald sie wissen, was man besitzt.»
Am Ende bleibt ein moralischer Widerspruch. Baumann beschreibt ihn treffend: «Ich erbe von meinen Eltern Eigentum und ein Bewusstsein für Gerechtigkeit. Aber die zwei Sachen passen nicht zusammen. Wo ist die Gerechtigkeit, wenn ich Eigentum erbe und andere nicht?» In seinem Film zwingt uns Baumann, diesem Widerspruch ins Auge zu sehen – ohne dabei selbst den Blick zu senken.
So wird aus «Wir Erben» ein Film über das Gewicht des Geerbten – und über die Unmöglichkeit, sich diesem Erbe zu entziehen. Baumann zeigt, wie eng Privileg und Verantwortung verbunden sind, und wie sehr beides von Schuldgefühlen durchzogen ist.
Das macht seine Dokumentation universell. Denn auch ohne Hof in Frankreich erkennt man sich hier wieder: in den leisen Kämpfen am Familientisch, im Zerren zwischen Dankbarkeit und Überforderung.
Kinostart: 30. Januar 2025