Auf ihrem strapaziösen Fussmarsch durch die Berge lassen die Entführer ihre beiden Schweizer Geiseln einer Hüttenruine kurz unbeaufsichtigt, um draussen hinter zerfallenden Mauern gemeinsam zu beten. David Och sieht die zur Seite gestellten Gewehre und damit eine Chance. Daniela dagegen ist entsetzt.
Wochen des Wartens
Die Szene ist nervenaufreibend, auch für das Publikum. Für Morgane Ferru (Daniela) und Sven Schelker (David) dagegen ist sie eine der vielen Gelegenheiten für schauspielerische Zwischentöne. Denn es kommt nicht zu einem Blutbad.
Der Fussmarsch geht weiter. Die Gefangenschaft wird noch Hunderte von Tagen dauern.
Auch wenn die Entführung und schliesslich die gelungene Flucht genügend Anlass bieten für abenteuerliche Momente mit Waffen, Lärm und Gewalt: Die 259 Tage der Gefangenschaft bestehen vor allem aus Angst und Warten.
Aus diesen Tagen des Wartens hat Michael Steiner mit Drehbuchautor Urs Bühler ein spannendes, unprätentiöses, im besten Sinne klassisches Kinostück gemacht.
War es Leichtsinn?
«Selber schuld» lautete vor zwölf Jahren der Schweizer Tenor, als Daniela Widmer und David Och 2011 in Pakistan entführt und als Geiseln an die Taliban übergeben wurden. Ihre erfolgreiche Flucht nach acht Monaten wurde von vielen als Resultat einer heimlichen Lösegeldzahlung durch die Schweiz interpretiert.
Drehbuchautor Urs Bühler und Regisseur Michael Steiner folgen mit ihrem Spielfilm dem 2013 erschienenen Erlebnisbericht des einstigen Paares. Die eigenartig gehässige Stimmung in der Schweiz, welche dem entführten Paar zumindest Leichtsinn oder sogar eine Mitschuld zuschrieb, taucht im Film erst ganz am Ende auf, wie ein Nachgedanke im Abspann.
Die Grenzen der Diplomatie
Spürbar wird sie in den wenigen Szenen, welche die Treffen der Eltern der beiden mit den Schweizer Behörden zeigen, die offiziellen Versuche, so viel wie möglich, so heimlich wie möglich auf diplomatischem Weg zu erreichen. Und über den ebenso unglücklichen Versuch von Danielas verzweifeltem Vater, via Medien Druck auf die in seinen Augen zu zögerlichen Schweizer Offiziellen zu machen.
Den psychologischen Kern des Films bildet das Paar, das einander stützt, aber eben auch fetzt, wenn Angst und Verzweiflung zu gross werden. Die spannende Dynamik entsteht aus den unterschiedlichen Arten der beiden, mit ihren Entführern und Wärtern umzugehen. Während Daniela auf Diplomatie setzt, auf das schnelle Lernen ihrer Sprache, auf persönliche Beziehungen, scheinen bei David immer wieder Trotz und Wut durch.
Das alles führt dazu, dass das Publikum auch die Entführer und die Aufpasser und deren teilweise nicht minder verzweifelte Situation kennen und verstehen lernt.
Klare Perspektive
«Und morgen seid ihr tot» ist stark dank der konsequent reduzierten Perspektive und dank des sparsamen, geschickten Einsatzes von kurzen, flashartigen Szenen – etwa wenn ein Taliban-Führer David eine den Pakistani abgenommene Pistole zeigt, auf der deutlich «Made in Switzerland» eingraviert ist.
Michael Steiner lässt keinen Zweifel daran, wessen Version der Geschichte ihn antreibt. Zugleich aber fächert der Film Motivationen, Ängste und Hoffnungen aller Protagonisten weit auf und überzeugt gerade dadurch erst recht.