Vor zehn Jahren wurde ein Schweizer Paar auf seiner Reise durch Pakistan entführt und an die Taliban übergeben. Die achtmonatige Geiselhaft und ihre erfolgreiche Flucht erzählt Regisseur Michael Steiner («Grounding», «Wolkenbruch») vor allem aus der Perspektive der Entführten. Damit wirft der Film «Und morgen seid ihr tot» ein neues Schlaglicht auf die damals sehr geteilte öffentliche Meinung in der Schweiz.
Von der Faszination der Geschichte über ein herausforderndes Drehbuch spricht Michael Steiner im Interview.
SRF: Die Entführung von Daniela Widmer und David Och war in der Schweiz kontrovers diskutiert worden: Die Ex-Geiseln wurden heftig kritisiert, weil sie sich selber in Gefahr gebracht hätten – wann war für Sie klar, dass das Filmstoff ist?
Michael Steiner: Ich wollte schon damals mehr wissen über die Geschichte von Daniela und David. Deshalb habe ich die beiden angerufen, um sie mal zu treffen. Sie waren am Anfang sehr scheu. Sie sind ja von den Schweizer Medien stark angegriffen worden, sie hätten da nicht hinfahren dürfen ...
Mit der Zeit haben sie angefangen, mir zu vertrauen. Nachdem ich dann mehr oder weniger ihre ganze Geschichte kannte, war ich sicher: Das muss ein Film werden.
Sie brachten die Finanzierung für den Film jahrelang nicht zusammen. Scheuten die Förderstellen davor zurück? Sie hatten sich ja klar gegen die damalige öffentliche Meinung gestellt – dass Widmer und Och eben auch selbst Schuld seien und sie deshalb auch keinen Anspruch auf Lösegeldzahlungen hätten.
Es ist jeweils schwierig zu sagen, wie die Entscheide der Filmkommissionen zustande kommen. Das kann diese Scheu gewesen sein, das können aber auch dramaturgische Bedenken gewesen sein.
Aber ja, es gab auch Vorbehalte, was den Inhalt anbelangt. Allerdings konnte ich dafür ja nichts, den habe ich ja nicht erfunden.
Die Produktionsfirma Zodiac hat schliesslich das Projekt übernommen. Allerdings wurde das Drehbuch umgeschrieben. Hatten Sie einfach zu viel in Ihre ursprüngliche Drehbuchversion gepackt?
Wir haben in den frühen Drehbuchfassungen die Perspektiven der Taliban noch stärker drin gehabt. Es gab so viele Sachen, die uns Daniela und David erzählt hatten, die ich sehr interessant fand – und die ich auch gerne erzählt hätte.
In den frühen Versionen war beispielsweise noch drin, wie sich diese Taliban-Führer bewegen: Dass sie die Kleider wechseln, wenn sie von A nach B gehen, und auch die Schuhe, weil darin Sender versteckt sein könnten. Solche Sachen haben wir dann reduziert. Aber es hat auch jetzt noch Details im Film drin, die aus jenen Drehbuchfassungen stammen.
Sie haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass Sie mit dem Film auch die damalige öffentliche Reaktion auf die Entführung korrigieren wollen.
Ja. Der Film ist klar anwaltschaftlich von meiner Seite, und zwar seit neun Jahren. Ich finde wirklich, man kann Menschen nicht so verurteilen. Sie einfach mit dieser Kälte abspeisen, das geht gar nicht.
Die Botschaft, dass man als junger Mensch rausgehen soll und reisen soll, das ist eigentlich das Wichtige für mich bei diesem Film. Und selbst wenn das Schlimmste passiert, was den beiden passiert ist, ist es immer noch so, dass man das Reisen deswegen nicht aufgeben sollte. So ein Einzelfall soll nicht die anderen Millionen Nicht-Entführungen aufwiegen.
Das war auch eine Angstmache zu jener Zeit, und die kam meiner Meinung nach damals von rechts, so mit der Message «Nur zu Hause ist es gut».
Man hat 1997 bei den Luxor-Opfern auch nicht gesagt, die hätten nicht nach Ägypten reisen sollen. Das wäre einfach despektierlich gewesen. Aber bei David und Daniela hat man das gemacht.
Das Gespräch führte Michael Sennhauser.