Quallenartige, halbdurchsichtige Blumen leuchten in dem Wald, durch den die zwölfjährige Vesper mit ihrer humanoiden Gefährtin Camilla huscht. Die zwei sind auf der Flucht vor Verfolgern.
«Die roten Büsche nicht berühren», flüstert Vesper ihrer Begleiterin zu. Ihre Gegner bekommen davon nichts mit und werden innert Sekunden von den herausschiessenden Samenkapseln zerfetzt.
Die Szene aus der litauischen Science-Fiction-Produktion «Vesper» ist typisch für die Erleuchtungen, die einem am NIFFF blühen können: Schönheit und Schrecken fallen dabei zusammen.
«Vesper» von Kristina Buozyte und Bruno Samper ist ein Wunder an fantastischer Innovation.
Eine schöne Dystopie
Sie hätten all den düsteren Zukunftsvisionen unserer Gegenwart eine Zukunft entgegenstellen wollen, in der es auch Schönheit gebe, erklärten die Filmemacher am Dienstag bei der NIFFF-Premiere.
Das ist den beiden und ihrem europäischen Team gelungen: «Vesper» ist die erste schöne Dystopie. Die gentechnisch veränderte Filmwelt steckt voller Grauen, aber auch voller Hoffnung. Damit ist er typisch für das NIFFF, bei dem er am internationalen Wettbewerbs teilnimmt.
Technisch ist «Vesper» auf der Höhe der Zeit. Inhaltlich ist der Film innovativer und realistischer als etwa James Camerons «Avatar».
Schund schafft Freiheit
Auch für Horror-Fans bietet das Festival einiges: In der Reihe «Ultra Movies» etwa finden sich die aberwitzigsten Gore-Orgien. Die besten Filme variieren dabei bekannte Genre-Muster auf einfallsreiche Weise. Bei anderen verlässt man das Kino gar mit dem Gefühl, etwas vollkommen Neues gesehen zu haben.
Genre-Kino, also oft billig produzierte, fantasievolle Unterhaltungsfilme hätten für die Filmemacher immer schon Freiheit bedeutet, erklärt Pierre Yves Walder. Er ist der neue künstlerische Leiter des NIFFF.
Das Genre-Kino sei seit jeher ein Spiegel seiner Entstehungszeit, so Walder. Das demonstriert am Festival die Reihe «Scream Queer» besonders eindrücklich. Sie spürt der queeren Repräsentation quer durch die Filmgeschichte nach.
Auch im tunesischen Film «Ashkal» hallt die jüngere Vergangenheit nach. Darin geht eine Polizistin einer unheimlichen Serie von Selbstverbrennungen nach. Diese stellen sich als geisterhafte Nachwehen der Diktatur und des Arabischen Frühlings heraus.
Film- trifft Spieleindustrie
Das fantastische Kino war aber auch immer der Ort, um neue Technologien auszuprobieren. Sei es als Gimmick wie bei den frühen 3D-Filmen oder nur zur möglichst kostengünstigen Erzeugung fantasievoller Effekte. Das Festival in Neuchâtel trägt dem schon lange Rechnung: mit Workshops und Treffen auf globalem Niveau.
Dieses Jahr gab es einen Austausch zwischen Filmemachern und Game-Designerinnen. Denn die Technologie, die Computerspiele in Echtzeit immer realistischer macht, wird auch zunehmend in der Filmproduktion eingesetzt.
Träumen von Schrecken, Schönheit, Zombies und der Zukunft: Das NIFFF war und ist auch in seinem 21. Jahr der richtige Ort dafür.