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Schweizer Filmpreis 2018 «Ich höre die Buhrufe viel lauter als den Applaus»

Die Regisseure Lisa Brühlmann und Marcel Gisler gehen ins Rennen um den Schweizer Filmpreis – Gisler mit seinem Film «Mario» über einen schwulen Fussballer, Brühlmann mit dem Teenagerdrama «Blue My Mind».

Bevor sich die beiden bei der Preisverleihung zwischen Beruhigungsdragees und Champagner entscheiden müssen, haben wir sie zum gemeinsamen Gespräch getroffen.

Lisa Brühlmann

Schauspielerin und Regisseurin

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Lisa Brühlmann, geboren 1981, ist eine Schweizer Schauspielerin und Regisseurin. Nach der Schauspielschule in Berlin spielte die Zürcherin bei diversen Filmen und Fernsehserien mit. An der ZHdK studierte sie Filmregie und ist nun mit ihrem Regiedebüt «Blue My Mind» insgesamt sieben Mal für den Schweizer Filmpreis nominiert. Brühlmann lebt mit ihrem Mann, dem Regisseur, Dominik Locher und zwei Kindern in Zürich.

Marcel Gisler

Regisseur

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Der Regisseur Marcel Gisler, geboren 1960, studierte Theaterwissenschaften und Philosophie in Berlin. Nun geht er mit seinem siebten Film ins Rennen um den Schweizer Filmpreis. Sein Erstling «Tagediebe» gewann 1985 in Locarno den Silbernen Leoparden. Den Schweizer Filmpreis gewann er bereits 1999 mit «F. est un salaud» und 2015 für «Electroboy». Gisler lebt in Berlin und Zürich.

SRF: Frau Brühlmann, Herr Gisler – sie sind Filmemacher und damit Geschichtenerzähler. Was interessiert Sie am Erzählen?

Marcel Gisler: Geschichten öffneten mir schon als Jugendlichem Türen in andere Milieus, in andere Weltregionen. Ich bin als Kind nicht viel gereist, das konnten wir uns nicht leisten. So wurden Literatur und Film zu einem Fenster in andere Welten. Irgendwann reifte in mir der komische Gedanke, das zu machen, was ich am meisten liebe: Filme.

Lisa Brühlmann: Das Geschichtenerzählen ist für mich eine Möglichkeit, mit der Welt zu kommunizieren, einen anderen Blick auf sie zu werfen. Und auch zu schauen, wie sie anders sein könnte.

Nahaufnahme einer jungen Frau.
Legende: «Ich bin überhaupt nicht gelassen», sagt Lisa Brühlmann. Dabei hat «Blue My Mind» ausgezeichnete Chancen. SRF/Lukas Maeder

Herr Gisler, Sie haben schon zweimal den Schweizer Filmpreis erhalten, nun könnte der dritte folgen. Frau Brühlmann, Sie stellen gleich mit ihrem Erstling einen Nominations-Rekord auf. Wie ist das für Sie?

Marcel Gisler: Ich sehe dem relativ gelassen entgegen. Ich habe das Gefühl, die Akademie denkt sich: «Ach, der hat doch schon, jetzt ist jemand anderes an der Reihe» (lacht). Frau Brühlmann hat beste Chancen, einige Preise mit nach Hause zu nehmen.

Lisa Brühlmann: Ich bin überhaupt nicht gelassen. Für mich fühlt es sich an, als würde ich auf dem Trampolin springen und nicht wieder runterkommen. Herr Gisler ist für mich ein gestandener Regisseur, ich schätze seine Arbeit sehr. Mit ihm nominiert zu sein ist für mich eine aussergewöhnliche Situation.

Filmpreis bei SRF

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Die Preisverleihung am 23. März 2017 in Zürich gibt's ab 19.30 Uhr im Live-Stream auf www.srf.ch. Die anschliessende Aftershow «Der Schweizer Filmpreis – Die Gewinner» ist ab 21.35 Uhr live im Netz und auf SRF zwei zu sehen. News, Hintergründe und Interviews finden Sie im Filmpreis-Special.

Frau Brühlmann, in «Blue My Mind» arbeiten sie mit dem Märchenelement der Meerjungfrau. Woher kommt die Sehnsucht nach dem Phantastischen?

Lisa Brühlmann: Ich finde den «was wäre wenn»-Gedanken spannend. Im Film lässt er sich umsetzen, da lässt sich die Welt auch auf den Kopf stellen. Ausserdem können Metaphern viel über die Realität aussagen.

Ein Dreh ist ein riesiger, aber schöner Stress … Ach, es ist alles schön und alles Leid!
Autor: Lisa Brühlmann

Herr Gisler, sie bleiben in ihren Filmen vermehrt dem Realismus treu. Warum?

Marcel Gisler: Es kommt auf die filmische Sozialisierung an, das war bei mir tatsächlich der Realismus, aber ein überhöhter. Beeindruckt hat mich damals John Cassavettes mit seinem Universum, das auf realistische Weise irreal ist. Und Fassbinder, der eine theatralische Formsprache fand und dennoch realistische Themen behandelt hat. Ein phantastisches Genre interessiert mich aber dennoch sehr: der Vampirfilm.

Lisa Brühlmann: Einen Vampirfilm will auch ich machen!

Die Protagonisten in ihren Filmen befinden sich in einer identitätsstiftenden Phase des Lebens, dabei spielt Sexualität eine wichtige Rolle. Wie wichtig oder wie schwierig waren für Sie die Sexszenen?

Lisa Brühlmann: Das Erwachen der Sexualität ist naturgemäss eines der grossen Themen der Pubertät. Deshalb sind diese Szenen in «Blue My Mind». Sie gehörten zu den schwierigsten – für uns alle.

Marcel Gisler: Ich habe vor «Mario» schon Erfahrungen mit Sexszenen gemacht. Das Wichtige dabei ist die professionelle Distanz der Darsteller. Sie arbeiten, Anzüglichkeiten und Zweideutigkeiten haben auf dem Set nichts verloren. Dann geht es.

Ein Mann sitzt auf einer Fensterbank.
Legende: Gewann mit «F. est un salaud» und «Electroboy» bereits den Schweizer Filmpreis: Marcel Gisler SRF/Lukas Maeder

Wann erleben Sie Momente des Glücks beim Filmemachen?

Marcel Gisler: Filmemachen ist das Ankämpfen gegen unendlich viele Hindernisse, denn die Welt sträubt sich dagegen, verfilmt zu werden. Es muss viel zusammenkommen bis der Take im Kasten ist. Ist ein Moment der Verzweiflung überwunden, bin ich glücklich. Meist aber nur kurz, weil schon das nächste Problem wartet.

Lisa Brühlmann: Jede Phase hat Höhepunkte. Ich mag es, wenn umgesetzt wird, was schon lange im Kopf war. Ein knappes Budget kann mühsam sein, aber zwingt einen dazu, kreative Lösungen zu finden. Der Dreh selber ist ein riesiger, aber schöner Stress … Ach, es ist alles schön und alles Leid!

Heute nervt mich Kritik vor allem dann, wenn sie berechtigt ist.
Autor: Marcel Gisler

Marcel Gisler: Ist der Film dann fertig, wartet auf mich nicht das Glücksgefühl, sondern ein einziger Gedanke: Jetzt kannst du eh nichts mehr ändern (lacht). Ich bin am Schluss darum eher ratlos als glücklich. Denn ich höre die Buhrufe viel lauter als den Applaus.

Lisa Brühlmann: Das kenne ich. Wenn an einem Abend viele Leute begeistert sind und gratulieren, ist das schön. Was bei mir aber hängenbleibt, ist die Kritik der einen Person.

Marcel Gisler: Da bin ich auch weniger cool als früher.

Lisa Brühlmann: Tatsächlich? Sie haben das früher gelassener hingenommen?

Marcel Gisler: Ich hatte früher eine dickere Haut. Heute nervt mich Kritik vor allem dann, wenn sie berechtigt ist. Dann denke ich: Das darf nur ich, Selbstkritik ausüben (lacht).

Wie gehen Sie mit Verzweiflung um?

Marcel Gisler: Mit Beruhigungsdragees (lacht).

Lisa Brühlmann: Einfach weiterarbeiten und Lösungen suchen. Ich bin oft an Grenzen gestossen. Irgendwie ging's dann aber doch.

Herr Gisler, Sie sind nun schon etwas länger als Filmemacher tätig. Gibt es einen Ratschlag, den Sie Frau Brühlmann geben können, der Ihr einiges an Ärger ersparen würde?

Marcel Gisler: Frau Brühlmann muss man wirklich keine Ratschläge geben.

Lisa Brühlmann: (lacht) Vielen Dank. Aber jetzt war ich schon gespannt, was Ihr Ratschlag gewesen wäre.

Marcel Gisler: Ich glaube, Sie haben sich als durchsetzungsfähige Künstlerin schon bewiesen. Ich kann Ihnen nur wünschen, dass Sie sich nicht verbiegen und sich nicht reinreden lassen.

Frau Brühlmann, was war der beste Ratschlag, den Sie je bekommen haben?

Lisa Brühlmann: Arbeite immer mit Leuten, die besser sind als du. Weil du von ihnen lernen kannst. Das klang logisch, ging aber nicht. Wenn man seinen Erstling dreht, ist nicht viel Geld da. Da freut man sich überhaupt, dass Leute mit einem arbeiten.

Den Protagonisten in Ihren Filmen erteilt das Leben eine harte Lektion. Welche lernen Sie gerade?

Lisa Brühlmann: Dass ich auf dem richtigen Weg bin und mit dem Filmemachen weitermachen kann. Gleichzeitig bin ich in einer Phase, in der mir bewusst ist, was für ein Glück ich habe. Das Leben lehrt mich gerade, dankbar zu sein.

Marcel Gisler: Dass das Älterwerden neue Fragen mit sich bringt. Wäre ich irgendwo angestellt, wäre ich in sieben Jahren pensioniert. Kann ich als Selbständiger, als Künstler dann weiterarbeiten? Die Lektion werde ich wohl früh genug lernen.

Wie werden Sie feiern, wenn Sie den Schweizer Filmpreis nach Hause nehmen können?

Lisa Brühlmann: Mit Champagner.

Marcel Gisler: Ich muss eher schauen, dass ich mich nicht zu sehr abschiesse (lacht).

Das Gespräch führte Ana Matijasevic.

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