Am Mittwoch landete Tom Cruise in Cannes. Im Gepäck: «Top Gun: Maverick», die Fortsetzung seines Kult-Klassikers von 1986.
Fliegen ist geil
Wer sich nicht mehr erinnert: Es geht um US-Kampfpiloten, angeführt von Pete «Maverick» Mitchell (Tom Cruise), ihren Mut, ihren Patriotismus. Es geht um das Hochlebenlassen des Militärs. Es geht um perfekte Propaganda für die USA und ihre Navy. Ein Kritiker der Zeitung «Die Welt» schrieb damals: «Top Gun ist Gruppensex, in dem die Flugzeuge übereinander herfallen».
Der zweite Teil ist nicht anders. US-Kampfpiloten, wieder angeführt von Pete «Maverick» Mitchell, müssen eine Atomanlage in einem nicht benannten Land vernichten. Das US-Militär ist immer noch besser als jede Mutter, Fliegen ist geil und das eigene Leben zählt nichts angesichts der Mission.
Eine seltsame Wahl
Eine seltsame Art, in Zeiten des Ukrainekonfliktes einen Kriegsfilm und seinen Hauptdarsteller in Cannes zu feiern, denken sicher einige.
Und das Festival setzte sogar noch einen drauf: Bei der Premiere am Mittwoch raste eine Staffel Kampfjets über den Himmel und sprühte die französische Flagge in den Himmel, die ja praktischerweise wie der US-Sternenbanner aus den Farben blau-weiss-rot besteht.
Da kann die Frage aufkommen: Geht eine solch martialische Inszenierung, während die Menschen in der Ukraine unter dem russischen Angriffskrieg leiden?
Geht das, einen Tag nachdem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky im Rahmen der Eröffnung des Festivals gesagt hat: «Jeden Tag sterben Hunderte von Menschen. Sie werden nach dem Schlussapplaus nicht wieder aufstehen.»
Neulich auf dem Flugzeugträger
Es mag geschmacklos sein und ohne Feingefühl. Es mag jedem einen Schauer über den Rücken jagen, der mit Militär und Hurra-Patriotismus nichts anfangen kann. Aber es kam nicht überraschend.
Schon die Weltpremiere von «Top Gun: Maverick» vor gut zehn Tagen setzte ein Zeichen. Sie fand in San Diego, Kalifornien statt. Tom Cruise landete in einem Helikopter auf dem legendären Flugzeugträger «USS Midway» der US-Navy, der im Vietnam- und dem Zweiten Golfkrieg zum Einsatz kam.
Amerika über alles
Denn die Fortsetzung und das Original von «Top Gun» feiern furchtlose Soldaten, militärische Stärke und Aufopferungsbereitschaft, zeichnen eine naive, aber verlockende Welt mit klaren Schwarz-Weiss-Grenzen. In diesem Film ist die USA «great again».
«Top Gun: Maverick» ist der passende Propagandafilm für diese Zeiten, wo über Einheit und Bündnistreue gesprochen wird. Wo keine Zweifel herrschen sollen, wer gut und wer böse ist.
Die Botschaft von Tom Cruise' Fliegerspektakel: All ihr Schurken da draussen (egal ob sie Wladimir Putin, Kim Jung-un oder des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi heissen): Wir haben keine Angst und gebieten euch Einhalt.
Kein neuer Chaplin
Simpler geht es nicht. Logisch, dass sich da das Cannes-Event «Top Gun: Maverick» nicht durch Subtilität, sondern durch Eindeutigkeit auszeichnet. So ist Propaganda eben.
Der ukrainische Präsident hat in seiner Videobotschaft während der Eröffnung von Cannes gesagt: «Wird das Kino schweigen oder darüber reden? Wenn es einen Diktator gibt, wenn es einen Freiheitskrieg gibt, hängt alles wieder von unserem Zusammenhalt ab. (...) Wir brauchen einen neuen Chaplin, der beweist, dass das Kino heutzutage nicht schweigt.»
Ein neuer Chaplin ist es nicht geworden. Aber eben Tom Cruise.