Ja, ich habe Shakespeare gelesen. Und das nicht zu knapp. Dennoch will ich hier nicht «viel Lärm um nichts» machen, vielmehr einem anderen zitierwürdigen William das Wort sprechen – «Bill» Shankly.
Der legendäre Trainer aus Macbeths Schottland brachte es auf den Punkt: «Es gibt Leute, die denken, Fussball sei eine Frage von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann Ihnen versichern, dass es noch sehr viel ernster ist.»
Fürwahr, Fussball ist existenziell. Und somit Kultur erster Güte.
Nach der Lektüre meines Einwurfs werden Sie diese Meinung mit mir teilen. Denn: Wer gehörte zu den bedeutendsten Existenzialisten? Genau, Albert Camus. Und was schloss der Literatur-Nobelpreisträger? «Alles, was ich über Moral und Verpflichtungen weiss, verdanke ich dem Fussball.»
Der Fussball prägt also die Gedankenwelt – und treibt dabei kultige Blüten.
Hier spielt die Musik!
Die Gehirnwindungen meines Namensgedächtnisses sind nicht gerade klassisch komponiert. So heisst der Schubert der Gutgebildeten Franz. Meiner: Markus. Sie hören, ich sehe ihn. Wenn er denn je zum Einsatz gelangt. Markus Schubert ist Ersatztorwart.
Bei mir führen Dirigenten auch kein Orchester, sondern die Abwehr. Und ein Stehgeiger ist kein Violinist, sondern ein lauffauler, dafür technisch versierter Mittelfeldregisseur.
Deshalb posaune ich heraus: Die grössten Künstlerinnen und Künstler spielen kein Musikinstrument, geschweige denn die erste Geige. Stattdessen: den Ball. Allen voran die himmlischen Cruyff und Messi. Und der göttliche Maradona. Wie in diesem stilvollen Stillleben: das Gemälde eines Bilds!
Grosses Kino
Sie sorgen gerne für Theater, die Filme von Tarantino. Und noch mehr die Szenen von Tarantini. Der Linksverteidiger Alberto könnte aus einem Drehbuch von Oscar-Gewinner Quentin stammen. Allein die unbändige Mähne hätte ihn für «Pulp Fiction» prädestiniert.
Wie Samuel L. Jackson fällt der argentinische Weltmeister von 1978 durch gewaltigen Einsatz auf, zum Ende der Karriere gar hierzulande – beim unterklassigen Urania Genf. Freilich mehr in der Disco als auf dem Sportplatz. Nur da spielt der abgehalfterte Star noch eine tragende Rolle.
Der Klub wähnte sich im falschen Film. Dem B-Movie-Liebhaber Tarantino jedoch hätte Tarantinis Gastauftritt in der Nationalliga B gefallen. Zumal so manche Eskapade dessen weiteren Weg säumte – inklusive Drogenbesitz und Verhaftung.
Das Leben als Thriller, wobei der Fussball jede Fiktion schlägt: keine Seltenheit!
Im Stadium der Glückseligkeit
Bei Ihnen steht die Pralinenschachtel vielleicht im Schrank. Bei mir in Buenos Aires. Sie mögen einwenden: wieder Argentinien! Aber dort erhebt sich halt schlicht und ergreifend der weltweit schönste Tempel: La Bombonera, das Stadion der Boca Juniors.
Wollen Sie aufgrund der CO2-Bilanz nicht gleich die «Pralinenschachtel» besuchen, tut es auch eine Trutzburg in heimischen Gefilden: die «Charrière» des tief gefallenen FC La Chaux-de-Fonds.
Es müssen also nicht immer dieselben ausgetrampelten Pfade beschritten werden, damit Ihre architektonischen Wallfahrten zum Ziel führen. Der Fussball baut vor!
Tonangebend
Sind Sie schon im Stadion, dann harren Sie aus. Bis zur nächsten Vorführung. Zumindest in post-pandemischen Zeiten. Denn hier kriegen Sie die Kurve. Ungeschnitten. Und einiges um die Ohren. Eine Hitparade des hiesigen Liedguts verdeutlicht: Ihr Verein muss nicht im Konzert der Grossen mitspielen, um ebensolche Töne zu spucken.
Hemdsärmeliger Chic
Als modebewusste Erscheinung pflegen Sie ein kultiviertes Äusseres. Sie wissen: Kurzarmhemden sind armselig. Kleidsam werden sie ausschliesslich im Fussball. Da gilt als schön gewandet, wer Haut zeigt. Und Tattoos (wie der Schreiberling, ich gestehe).
Lassen Sie sich folglich nicht von den glamourösen Laufstegen des Fashion-Kosmos verleiten. Beweisen Sie eigene Tragweite. Zur Inspiration empfehlen sich die in Farbe und Schnitt opulenten Kollektionen der über alle Textilzweifel erhabenen 1990er-Jahre. Blickfänge, wohin das Auge reicht!
Poetische Kraft
Andächtiges Staunen, kontemplatives Verweilen, freudiges Entdecken: Sie kennen und schätzen dies von Ihren ausschweifenden Museumsbesuchen. Ich dagegen erlebe solches Glück (auch) auf meinen lustwandelnden Streifzügen durch Websites, die nach jeder Runde die Spieltelegramme und Tabellen bündeln.
Diese Tour d’Horizon durch die Ligen meiner Wahl hat literarische Qualität. Auf geballtem Raum lese ich Namen und Zahlen. Jedes Schriftzeichen ist akkurat gesetzt, einst etwa das Semikolon, mein unbestrittener Liebling.
Es brachte die taktische Aufstellung zum Ausdruck, indem es die Teamreihen unterteilte. Heute erfolgt die Aufbereitung der Informationen grafisch elaborierter, bleibt indes eine poetische Erfahrung – der Rezeption von Haiku gleich, der maximal minimalen Gedichtform Japans.
Überhaupt, die Sprache des Fussballs: Bei Gott bzw. Goethe, wie schätze ich doch – Wort drauf! – ihre zunehmende Akademisierung, exemplarisch bei diesem Trainerprimus.
Philosophie des Spiels
Apropos Intelligenzia: Ich bewundere Sokrates. Für seine gescheiten Sätze, vor allem aber für seine klugen Pässe. Und so erhebe ich den (fast) gleichnamigen Mittelfeldpoeten ebenfalls in den Rang eines Philosophen. Der Brasilianer sorgte für weise Aktionen auf dem Platz, Demokratie im Verein und das Wohl der Kinder – als Arzt nach der Spielerkarriere. Womit wir wieder bei Camus’ Moral und Verpflichtungen wären.
Kultur – und gut ist!
Ich rekapituliere: Ein klassischer Fussball-Romantiker wie ich erzählt zwar aus dem Leben eines Taugenichts. Eines Vollpfostens, eines Tors. Doch mit Sturm und Drang beschert ihm seine Leidenschaft Figuren und Momente, die verdeutlichen: Der Fussball ist ein Abbild des Zeitgeists, ein Kompendium der eigenen Biografie. Kurzum: ein Kulturgut. Das mit Füssen getreten wird.