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Vom Fussballfan-Sein
Aus Kontext vom 11.05.2021. Bild: Unsplash / Ronny Sison
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Fussball und Kultur Die Kunst des Fussballs – Bekenntnisse eines Tors

Fussball ist Kultur. Ganz egal, ob Sie Musik, Literatur oder Architektur lieben: Unser Autor weiss, dass Fussball für Fans jeder Kunstgattung etwas bereithält. Anstoss zu sieben Tipps.

Ja, ich habe Shakespeare gelesen. Und das nicht zu knapp. Dennoch will ich hier nicht «viel Lärm um nichts» machen, vielmehr einem anderen zitierwürdigen William das Wort sprechen – «Bill» Shankly.

Der legendäre Trainer aus Macbeths Schottland brachte es auf den Punkt: «Es gibt Leute, die denken, Fussball sei eine Frage von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann Ihnen versichern, dass es noch sehr viel ernster ist.» 

Silvan Lerch

Kultur-Redaktor und Fussballfan

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Der Autor ist stv. Redaktionsleiter des «Kulturplatz», schreibende Stammkraft beim Fussballmagazin «Zwölf» und promovierter Germanist.

Fürwahr, Fussball ist existenziell. Und somit Kultur erster Güte.

Nach der Lektüre meines Einwurfs werden Sie diese Meinung mit mir teilen. Denn: Wer gehörte zu den bedeutendsten Existenzialisten? Genau, Albert Camus. Und was schloss der Literatur-Nobelpreisträger? «Alles, was ich über Moral und Ver­pflich­tungen weiss, ver­danke ich dem Fuss­ball.»

Schwarzweissfoto: Camus im Anzug
Legende: Wie so mancher grosse Denker hat auch Albert Camus vieles in der Lebensschule Fussball gelernt. Keystone / PHOTOPRESS-ARCHIV

Der Fussball prägt also die Gedankenwelt – und treibt dabei kultige Blüten.

Hier spielt die Musik!

Die Gehirnwindungen meines Namensgedächtnisses sind nicht gerade klassisch komponiert. So heisst der Schubert der Gutgebildeten Franz. Meiner: Markus. Sie hören, ich sehe ihn. Wenn er denn je zum Einsatz gelangt. Markus Schubert ist Ersatztorwart.

Bei mir führen Dirigenten auch kein Orchester, sondern die Abwehr. Und ein Stehgeiger ist kein Violinist, sondern ein lauffauler, dafür technisch versierter Mittelfeldregisseur.

Deshalb posaune ich heraus: Die grössten Künstlerinnen und Künstler spielen kein Musikinstrument, geschweige denn die erste Geige. Stattdessen: den Ball. Allen voran die himmlischen Cruyff und Messi. Und der göttliche Maradona. Wie in diesem stilvollen Stillleben: das Gemälde eines Bilds!

Foto: Maradona im Vordergrund am Ball, im gegenüber 6 belgische Spieler nah beieinander
Legende: Wie ein flämisches Barockwerk: Diego Armando Maradona bittet an der WM 1982 gegen Belgien zum Tanz. Getty Images / Steve Powell / Allsport

Grosses Kino

Sie sorgen gerne für Theater, die Filme von Tarantino. Und noch mehr die Szenen von Tarantini. Der Linksverteidiger Alberto könnte aus einem Drehbuch von Oscar-Gewinner Quentin stammen. Allein die unbändige Mähne hätte ihn für «Pulp Fiction» prädestiniert.

Wie Samuel L. Jackson fällt der argentinische Weltmeister von 1978 durch gewaltigen Einsatz auf, zum Ende der Karriere gar hierzulande – beim unterklassigen Urania Genf. Freilich mehr in der Disco als auf dem Sportplatz. Nur da spielt der abgehalfterte Star noch eine tragende Rolle.

Der Klub wähnte sich im falschen Film. Dem B-Movie-Liebhaber Tarantino jedoch hätte Tarantinis Gastauftritt in der Nationalliga B gefallen. Zumal so manche Eskapade dessen weiteren Weg säumte – inklusive Drogenbesitz und Verhaftung.

Das Leben als Thriller, wobei der Fussball jede Fiktion schlägt: keine Seltenheit!

Fussballer
Legende: Alberto Tarantini: Ein Weltmeister mit Pulp-Fiction-Mähne. IMAGO / WEREK

Im Stadium der Glückseligkeit

Bei Ihnen steht die Pralinenschachtel vielleicht im Schrank. Bei mir in Buenos Aires. Sie mögen einwenden: wieder Argentinien! Aber dort erhebt sich halt schlicht und ergreifend der weltweit schönste Tempel: La Bombonera, das Stadion der Boca Juniors.

Grosses, gelb-blaues Stadion, eng umgeben von Häusern
Legende: Wenn die Boca Juniors hier ihre Kunst zeigen, wird dieser Klotz zum brodelnden Kessel. Getty Images / Marcelo Endelli

Wollen Sie aufgrund der CO2-Bilanz nicht gleich die «Pralinenschachtel» besuchen, tut es auch eine Trutzburg in heimischen Gefilden: die «Charrière» des tief gefallenen FC La Chaux-de-Fonds.

Eingang eines Fussballstadions mit dem Schriftzug «Parc des sports»
Legende: Die «Charrière» lädt dazu ein, mit einem nostalgisch-verklärten Blick in die Vergangenheit einzutauchen. So individuell, rau und doch charmant waren Stadien, bevor sie zu austauschbaren «Fussballtempeln» wurden. Keystone / SANDRO CAMPARDO

Es müssen also nicht immer dieselben ausgetrampelten Pfade beschritten werden, damit Ihre architektonischen Wallfahrten zum Ziel führen. Der Fussball baut vor!

Tonangebend

Sind Sie schon im Stadion, dann harren Sie aus. Bis zur nächsten Vorführung. Zumindest in post-pandemischen Zeiten. Denn hier kriegen Sie die Kurve. Ungeschnitten. Und einiges um die Ohren. Eine Hitparade des hiesigen Liedguts verdeutlicht: Ihr Verein muss nicht im Konzert der Grossen mitspielen, um ebensolche Töne zu spucken.

Video
Mehr als nur Gejohle – die Hintergründe der Fangesänge
Aus Einstein vom 09.06.2016.
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Hemdsärmeliger Chic

Als modebewusste Erscheinung pflegen Sie ein kultiviertes Äusseres. Sie wissen: Kurzarmhemden sind armselig. Kleidsam werden sie ausschliesslich im Fussball. Da gilt als schön gewandet, wer Haut zeigt. Und Tattoos (wie der Schreiberling, ich gestehe).

Lassen Sie sich folglich nicht von den glamourösen Laufstegen des Fashion-Kosmos verleiten. Beweisen Sie eigene Tragweite. Zur Inspiration empfehlen sich die in Farbe und Schnitt opulenten Kollektionen der über alle Textilzweifel erhabenen 1990er-Jahre. Blickfänge, wohin das Auge reicht!

Mann mit sehr bunten Fussballtrikot
Legende: Auch Modefreunde kommen beim Fussball auf ihre Kosten. Oder kamen es zumindest 1994 noch, als Torhüter Marco Pascolo dieses zeitlos schöne Stück trug. IMAGO / Sven Simon

Poetische Kraft

Andächtiges Staunen, kontemplatives Verweilen, freudiges Entdecken: Sie kennen und schätzen dies von Ihren ausschweifenden Museumsbesuchen. Ich dagegen erlebe solches Glück (auch) auf meinen lustwandelnden Streifzügen durch Websites, die nach jeder Runde die Spieltelegramme und Tabellen bündeln.

Diese Tour d’Horizon durch die Ligen meiner Wahl hat literarische Qualität. Auf geballtem Raum lese ich Namen und Zahlen. Jedes Schriftzeichen ist akkurat gesetzt, einst etwa das Semikolon, mein unbestrittener Liebling.

Es brachte die taktische Aufstellung zum Ausdruck, indem es die Teamreihen unterteilte. Heute erfolgt die Aufbereitung der Informationen grafisch elaborierter, bleibt indes eine poetische Erfahrung – der Rezeption von Haiku gleich, der maximal minimalen Gedichtform Japans.

Überhaupt, die Sprache des Fussballs: Bei Gott bzw. Goethe, wie schätze ich doch – Wort drauf! – ihre zunehmende Akademisierung, exemplarisch bei diesem Trainerprimus.

Philosophie des Spiels

Apropos Intelligenzia: Ich bewundere Sokrates. Für seine gescheiten Sätze, vor allem aber für seine klugen Pässe. Und so erhebe ich den (fast) gleichnamigen Mittelfeldpoeten ebenfalls in den Rang eines Philosophen. Der Brasilianer sorgte für weise Aktionen auf dem Platz, Demokratie im Verein und das Wohl der Kinder – als Arzt nach der Spielerkarriere. Womit wir wieder bei Camus’ Moral und Verpflichtungen wären.

Gesicht eines Fusaballers mit lockigen schwarzen Haaren, Schnurrbart und Bart
Legende: Sócrates – ein grosser Denker des Fussballs, der sich zurecht fast gleich schrieb wie der berühmte Philosoph. Keystone / EPA / ROGER PARKER

Kultur – und gut ist!

Ich rekapituliere: Ein klassischer Fussball-Romantiker wie ich erzählt zwar aus dem Leben eines Taugenichts. Eines Vollpfostens, eines Tors. Doch mit Sturm und Drang beschert ihm seine Leidenschaft Figuren und Momente, die verdeutlichen: Der Fussball ist ein Abbild des Zeitgeists, ein Kompendium der eigenen Biografie. Kurzum: ein Kulturgut. Das mit Füssen getreten wird.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 12.5.2021, 09:02 Uhr.

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