«Ei Stadt, ein Verein, i eusre Stadt git’s nur ein Verein», singen die Anhänger des FC Zürich im Stadion. In diesen wenigen Worten stecken drei Punkte, die für Fussballfans von grosser Bedeutung sind: die Identifikation mit dem Verein und der Stadt – und die Abgrenzung gegenüber dem anderen Proficlub der Stadt. Die Grasshoppers werden in diesem Lied von den FCZlern bewusst beschwiegen.
Identifikation sei der Kern des Fan-Seins, sagt der deutsche Soziologe Gunter A. Pilz, der sich seit Langem mit diesem Thema beschäftigt: Identifikation mit Verein, Spielern und Stadt. Sie tue gut, sagt er: «Fan zu sein stärkt das Selbstwertgefühl und das Wohlbefinden.»
Pilz sagt, dass Fans für diese Identifikation eine Gegenleistung von ihren Idolen erwarten – egal, ob es sich um Fussballer oder Rockstars handelt – nämlich Erfolg und eine gewisse Nähe. «Wird die Erwartung nach Nähe nicht ernst genommen, kann man sich schnell vom Idol lösen oder mit nicht gerade sozialen Handlungsmustern reagieren. Von Mobbing bis hin zu körperlicher Gewalt», erklärt Pilz.
Beni Huggel kennt Fankultur von beiden Seiten
Diese Nähe hat Beni Huggel erlebt. Der ehemalige Spieler beim FC Basel und Schweizer Nationalspieler kennt etwa 100 Personen aus der Basler Fankurve, der Muttenzerkurve, persönlich. Manchmal geht ihm die Begeisterung der Fans zu weit: «Als ich in Frankfurt spielte, setzten sich unsere Fans vor den Mannschaftsbus, da wir dreimal in Serie verloren hatten. Da dachte ich mir: ‹Jungs, glaubt ihr etwa, wir machen das extra?›»
Wenn der Respekt verloren geht, endet Beni Huggels Verständnis für die Anhänger. Als Kind war er selbst FCB-Fan, er kennt beide Seiten. Braucht ein Fussballer die Fans? «Ja und nein», antwortet Huggel, «ich bin genauso ehrgeizig, wenn niemand zusieht. Ich wollte auch immer jedes Trainingsspiel gewinnen.»
Kraft aus der Kurve
Trotzdem verstärken die Fans die Motivation. Huggel weiss, welchen Einfluss Fans auf ein Spiel ausüben können: «Wenn die Zuschauer im Joggeli spüren, dass die Mannschaft Unterstützung braucht, entsteht eine Kraft, nicht nur für die eigenen Spieler. Ich habe Gegenspieler gesehen, denen die Knie gezittert haben.»
Die einen Anhängerinnen und Anhänger investieren sich mit Haut und Haar und bleiben ihrem Club ein Leben lang treu. Sie bemalen Transparente, studieren Lieder, Sprechchöre und Choreografien ein. Das sind die Ultras. Sie sind nicht zu verwechseln mit den «Hooligans», denen es nicht um Fankultur oder den Club geht, sondern um Randale.
Ein Fan des Fussballs
Andere Fussball-Liebhaber begeistern sich nicht für einen bestimmten Verein, sondern vielmehr für den Sport an sich. So wie Mämä Sykora, Chefredaktor des Schweizer Fussballmagazins «Zwölf»: «Es ist einfach die beste Sportart für mich», sagt er. «Die Regeln sind einfach, man kann es überall spielen, es ist global. Die einzelne Aktion hat viel Bedeutung, nicht wie im Handball oder Basketball, wo es sehr viele Punkte gibt. Selbst ein 0:0 kann spannend sein, weil man auf die eine entscheidende Spielsituation wartet.»
Folgerichtig schwärmt Sykora nicht für Torjäger, sondern für Mittelfeldspieler, die im richtigen Moment den genialen Pass schlagen, die Bewegungen auf dem Feld voraussehen, das Spiel lesen können.
Es beginnt mit dem Matchbesuch mit Opa
Nach wie vor sind es mehr Männer als Frauen, die dieser Schönheit des Spieles erliegen. Langsam verschiebt sich das Geschlechterverhältnis, doch die Fankurven bleiben männlich geprägt. Der FC Basel zählt an seinen Spielen knapp 20 Prozent Frauen. Ein Grund dafür könnte sein, dass viele Fanbiografien mit einer männlichen Bezugsperson beginnen. Oft würden Fankarrieren mit einem Vater oder Grossvater beginnen, der ein Kind mit ins Stadion nahm, sagt Gunter A. Pilz.
Andere wachsen über Peer-Groups in Fan-Gruppen hinein. Die meisten werden im Alter von 10 bis 12 zu Fusballfans, weiss Pilz: «Ab diesem Alter kann man sich einbringen und sucht neue Identifikationsfiguren.» Die Ultras seien zwischen 14 und 35. Später lege sich «diese hoch emotionalisierte Form des Fandaseins» wieder. Dann würden die Anhänger allgemeiner mitfiebern und mitleiden.
Mitleiden ist ein wichtiges Stichwort. Enttäuschungen über die sportliche Leistung können Gewalt auslösen. Dieses Problem habe abgenommen, betont Mämä Sykora, räumt aber ein: «Fussballclubs fördern den Lokalpatriotismus sehr: Da sind wir, dort sind die anderen. Gegen die ist man.» Er lehnt Gewalt ab, weist aber darauf hin, dass es auch an der Chilbi oft handfest werde, «wenn die Leute aus dem Nachbardorf kommen.»
Ultras haben wenig Toleranz für Misserfolge
Die Ultras, die sich voll mit der Mannschaft identifizieren, reagierten zuweilen heftig auf Misserfolge, sagt Gunter A. Pilz. Er erinnert sich an einen Fan, der ihm sagte: «Der Verein ist für mich wie eine Familie. Du erlebst im Beruf viele Niederlagen. Aber mit dem Verein hast du Erfolge. Wenn er gewinnt, gewinnen auch wir.»
Wenn der Verein aber verliert, verliert auch der Fan. «Daraus kann Frustration erwachsen. Bei längerer Erfolglosigkeit und wenn sich der Verein und die Spieler wenig für die Fans interessieren, kann das in Aggression umschlagen», fasst der Soziologe zusammen. Es kann vorkommen, dass enttäuschte Fans Spieler verfolgen oder den Platz stürmen, so wie etwa FCB-Anhänger 2006 in Basel und solche von GC 2019 in Luzern.
Gefallene Idole werden zu Buhmännern
Wenn es auf dem Platz nicht klappt, werden Trainer, Vereinsleitung oder einzelne Spieler schnell zu Buhmännern. Auch die Kommerzialisierung belastet das Verhältnis von Anhängern und Clubs: absurde Transfersummen und Saläre und fussballferne Investoren stossen vielen Fans sauer auf.
Widerstand regte sich etwa kürzlich gegen die Idee europäischer Vereine, eine geschlossene «Super League» zu schaffen, um noch mehr Geld an sich zu reissen. Das Projekt scheiterte nach Fanprotesten und Drohungen der UEFA.
Mämä Sykora kann solche Fanproteste nicht immer ganz ernst nehmen: «Die Fans kaufen ja die Merchandising-Shops leer und tragen dazu bei, dass die Kommerzialisierung bei den Clubs überhaupt ein Thema ist.» Kickt der Club mit Erfolg, komme solcher Unmut selten auf.
Investoren darf die Tradition nicht egal sein
Gunter A. Pilz äussert mehr Verständnis: «Die Vereine sind sozial und historisch in ihrer Region verwurzelt. Wenn Mannschaften aus lauter teuren Legionären bestehen, die sich mit der Stadt und dem Verein nicht identifizieren, nagt das massiv am Selbstverständnis der Fans.»
Diese merken, dass Spielern und Investoren die Tradition eines Clubs egal ist. Dann bröckelt die Identifikation und es kommt zu Konflikten. «Die Proteste sind wichtig, weil die Fans den Finger in die Wunde legen und dem Verein signalisieren: ‹Überdreht nicht. Der Fussball hat auch eine gesellschaftliche, soziale Verantwortung.›»
Verschwinden die «echten» Fans?
Als 2003 ein Investor Manchester United kaufte, gaben über 20'000 Personen ihre Saisonkarte, teils seit Generationen im Besitz der Familie, zurück und gründeten einen Amateurverein.
«In den englischen Stadien werden die eigentlichen Fans immer weniger», sagt Gunter A. Pilz, «dort sitzt ein Operettenpublikum, das sich unterhalten will. Die, die mitfiebern und auch in schlechten Zeiten voll hinter der Mannschaft stehen, sind heute weniger im Stadion. Die typische Match-Atmosphäre verschwindet.»
In Basel gab es unlängst eine ähnliche Aktion. Über 600 Fans standen Schlange – nicht wie früher, um an Tickets für internationale Spiele zu kommen. Sondern, um ihre Dauerkarten zurückzugeben. Die meisten von ihnen sind Teil der Muttenzerkurve.
Der Basler Unmut gegen die Vereinsführung
Diese Entscheidung hat wohl niemand leichtfertig getroffen. «Viele haben über Jahre, Jahrzehnte ihren Platz im Stadion gefunden», sagt Tobias Adler. Er gehört seit langem zur Kurve, besucht wenn möglich jedes Spiel.
Auch er hat seine Saisonkarte vorläufig abgegeben wegen der Führung des FCB um Bernhard Burgener, dem Besitzer und Verwaltungsratspräsidenten der FC Basel 1893 AG. Burgener wollte eine englische Investorengruppe an Bord des FC Basel holen. Ausländisches Geld für den FC Basel? Für die Fans ist das keine Option. Der FC Basel ist für sie nicht bloss ein Investment.
Tobias Adler etwa verbindet «Stolz, Heimat und Freunde» mit dem FC Basel. Das sind grosse Worte, doch sind sie bezeichnend für die Fans in Basel. Der FCB gehört für sie zur Stadt wie der Rhein und die Fasnacht.
So geht es auch Benedikt und Raphael Pfister: Die Brüder haben vor einigen Jahren eine Fussballkulturbar gegründet, das «Didi Offensiv». Lesungen, Filmabende, Talks und Fussballspiele gibt es hier zu erleben.
Schweizer Super League vor deutschem Klassiker
Die Liebe zum Sport ist Teil des Konzepts. Die Bar, ein klassischer Familienbetrieb, kommt gut an. Auch wenn das «Didi Offensiv» keine FCB-Bar ist, hat dieser Verein hier Vorrang. «Wenn Dortmund gegen Bayern spielt und gleichzeitig der FCB gegen Thun, dann zeigen wir FCB gegen Thun», sagt Benedikt Pfister.
Benedikt Pfister ist Historiker und leidenschaftlicher FCB-Fan. Die Situation in den vergangenen Monaten stimmte ihn nachdenklich. «Es wurde nicht offen kommuniziert, wo es hingehen soll», ärgert er sich.
Dabei gehe es beim Verein nicht um Erfolg, nicht darum, an der Champions League teilzunehmen. Es gehe um Emotionen, positive Emotionen. Sein Bruder Raphael ergänzt: «Bernhard Burgener wollte die Emotionen verkaufen. Ich glaube, er sieht die Differenz nicht zwischen einem wirtschaftlichen Unternehmen und einem Fussballklub, der zwar auch wirtschaftlich funktionieren muss, aber vor allem Emotionen schafft.»
Fussballclubs sind keine Schraubenfabriken
Das ist wohl der grösste Streitpunkt zwischen den Fans und dem Präsidenten: das Verständnis eines Fussballklubs. In der Schweiz müssen professionelle Fussballvereine als Aktiengesellschaft organisiert sein.
«Schlussendlich kann der Besitzer mit der AG machen, was er will», sagt Beni Huggel, ergänzt aber: «Ein Investor muss sich im Klaren sein, dass es keine AG ist, die zum Beispiel Schrauben herstellt. Sondern ein emotionales Ding, von dem die Leute das Gefühl haben, es gehöre zu einem Teil ihnen.»
Im Selbstverständnis der Fans gehört der Verein, den sie lieben, ihnen. Das Problem dabei: Das Schweizer Aktienrecht sagt etwas anderes. Diese Diskrepanz hat in Basel zur Eskalation geführt. Zur Enttäuschung und Wut vieler Fans.
Heute dürften viele FCB-Fans wieder optimistischer in die Zukunft blicken. Seit Patrick Rahmen im April interimistischer Cheftrainer geworden ist, konnte die sportliche Blockade etwas gelöst werden. Und nun gibt es auch den oft geforderten Wechsel im Vorstand. Vieles bleibt ungewiss für die Zukunft des Traditionsvereins – doch die Weichen für eine Veränderung sind gestellt.