Wer über Ruedi Walter schreibt, kommt um den abgegriffenen Begriff «Volksschauspieler» nicht herum. «Volksschauspieler ist einer, der dem Volk gehört», sagte Ruedi Walter einmal.
Er mochte den Begriff, hätte sich Journalisten gegenüber aber lieber die Zunge abgebissen, als das zuzugeben. Ihnen gegenüber konnte er sich garstig verhalten.
Ein Interview mit ihm war dann so erfolgreich, wie einen Pudding an die Wand zu nageln. Bei «normalen» Fans war er liebenswürdig und zugänglich.
Zu seinen Lebzeiten mussten Promis auch nicht für Selfies herhalten. Der volatile Walter wäre wohl spätestens bei der dritten entsprechenden Bitte explodiert.
Noch voll im Saft
«Volksschauspieler» ist ein tückisches Label für Kulturjournalisten und Redaktoren. Denn um wirklich erfassen zu können, was es bedeutet, muss man die professionelle Optik abstreifen.
Man muss sich die Zeit vergegenwärtigen, als man selber noch kein Medienschaffender und Ruedi Walter noch voll im Saft war.
In helvetischem Hauchdeutsch
Ab Ende der 60er- und während den ganzen 70er-Jahren war er für den Schreibenden omnipräsent. Er besprach meine Märliplatten, trat im Schulfernsehen auf, schaute auf Tournee bei uns im Städtchen vorbei.
Am Samstag trat er mit Margrit Rainer in Boulevardstücken oder im «Teleboy» auf, am Sonntag in Franz Schnyder-Idyllen – und an den Vorabenden gab er den Männdli in helvetisch eingefärbtem Hauchdeutsch.
Den Vater begleitete er auf der Fahrt ins Büro auf Radio Beromünster mit selbstgeschriebenen kabarettistischen Preziosen. Und die Mutter blätterte beim Coiffeurbesuch durch Schweizer Illustrierten, wo sie auf Heimgeschichten mit dem Mimen stiess.
Der Fernseher als Kaminfeuer
Ruedi Walter war einmal integraler Bestandteil des Alltags. Er, seine Kollegen und Kolleginnen aus dieser grossen Generation des Schweizer Boulevards gehörten zur erweiterten Familie. Damals fungierte Fernsehen noch als vereinigendes Kaminfeuer.
Weil es nur zwei Kanäle gab, kam es auch zu keinen Diskussionen welches Brennmaterial benutzt werden sollte. Tanniges oder Buechiges? Schweizer Fernsehen mit Ruedi Walter oder ARD mit Rudi Carrell?
Wer sich bewährte, blieb
Fernsehen und Radio fungierten damals noch nicht so als Durchlauferhitzer wie heute. Wer sich bewährt hatte, blieb. Es war ein Glücksfall für das Schweizer Fernsehen und Radio, dass für fiktionale Formate und Unterhaltungssendungen ein Talentreservoir zur Verfügung stand, wie vor- und nachher nie mehr.
Speziell das Fernsehen erlebte dank Ruedi Walter, Margrit Rainer, Jörg Schneider und Co. Anfang der 70er-Jahre einen Professionalierungsschub sondergleichen.
Hochleistung dank Ruedi Walter
Nicht alles was Ruedi Walter berührte, wurde zu televisionärem Gold. Mein Gott, hat dieser Mann viel Schmarren gemacht! Kann sich jemand an den Pointenwettbewerb vom «Teleboy» erinnern? Selbst sein darstellerisches Genie konnte diese Vorlagen nicht von ihrer Mittelmässigkeit befreien. Spass machte der «Teleboy» mit dem Pointenwettbewerb trotzdem.
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Er konnte umgekehrt Autoren zu Höchstleistungen inspirieren. Hans Gmür war nach «Bibi Balu» nie mehr so gut. Und auch wenn der «Niederdorfoper» die Leichtfüssigkeit englischer oder französischer Farcen abgeht, so haben die Herren Wollenberger/Lesch/Rüeger/Burkhard mit Ruedi Walter als Heiri im Kopf ein Meisterwerk geschrieben.
Pure Glückseligkeit
Bei der zweiten TV-Aufzeichnung 1978 befanden sich Walter und der Rest der grossen Generation des Schweizer Boulevards im Zenit ihres Könnens.
Diese «Niederdorfoper» ist punkto Kunstfertigkeit der «Citizen Kane» der Deutschschweizer TV-Unterhaltung. Und unser «Rosebud» ist Heiris Jauchzer «Jässodu».
Sein Auftritt unter tosendem Applaus des Publikums ist ein Moment der puren Glückseligkeit. Klosserzeugend.
Auch heute noch und jedes Mal. Ganz egal ob Redaktor oder nicht.
Sendung: «Jässodu – 100 Jahre Ruedi Walter» online oder am 25.12.2016 um 18:10 Uhr auf SRF 1.