Es ist das Jahr 1917. Russland befindet sich mitten im Ersten Weltkrieg. Die Bevölkerung ist zunehmend kriegsmüde. Unmut gegen den Zaren wird laut.
Es kommt zur Revolution. Zuerst im Februar, dann noch einmal im Oktober. Das Zarenreich stürzt, die kommunistischen Bolschewiki um Lenin ergreifen die Macht.
Animierter Dokumentarfilm
Doch was geschah damals in Russland wirklich? Die deutsche Filmemacherin Katrin Rothe wagt im animierten Dokumentarfilm «1917 – Der wahre Oktober» den Versuch, die Ereignisse dieser turbulenten Monate neu zu erzählen.
Sie begibt sich auf Spurensuche bei russischen Künstlern. Allesamt Augenzeugen, allesamt direkt Betroffene. Was machte die Revolution mit ihnen? Was machten sie mit der Revolution?
- Maxim Gorki – Der Schriftsteller und Kritiker
Es ist Ende Februar. St. Petersburgs Strassen sind voller Menschen. Die Stimmung ist aufgeheizt. Maxim Gorki ist eine etablierte Grösse im russischen Kulturleben. Wie viele andere kritisiert er das Zarenregime.
Doch auch die revolutionären Wirren machen ihm Sorgen. Gorki befürchtet, die gesetzlosen Zustände könnten Kunst und Kreativität gefährden.
Unter anderem deswegen gründete der Pazifist zum Schutz von Denkmälern die Gorki-Kommission. An deren Erfolg zweifelt Gorki aber – zu Recht: «Jetzt gründe ich selbst eine Partei (...). Das einzige Mitglied dieser Partei bin ich. Ich glaube nicht, dass sie jemals drei Mitglieder haben wird.»
- Sinaida Hippius – Die Chronistin und Lyrikerin
Die Provisorische Regierung tagt im Parlamentsgebäude. Gleich gegenüber wohnt Sinaida Hippius. Die Lyrikerin ist eine Grande Dame des St. Petersburger Literatenlebens und hat politische Kontakte bis nach ganz oben zum provisorischen Regierungschef Alexander Kerenski. So wird manche politisch relevante Schrift an ihrem Küchentisch verfasst.
Wie die meisten Russen ist Hippius aber enttäuscht von der Revolution. Sie wünscht sich mehr bürgerlichen Parlamentarismus. Stattdessen drängen die Bolschewiki an die Macht.
Als poetische Chronistin dokumentiert sie die Ereignisse dieser Monate. Nach der Machtübernahme der Bolschewiki stellt sie resigniert fest: «Es gibt keine Heimat mehr.»
- Wladimir Majakowski – Der Dichter und Exzentriker
Der umtriebige Wladimir Majakowski ist überall auf den Strassen anzutreffen. Der junge Dichter hält Reden bei Versammlungen und provoziert die Leute mit seinen Gedichten. Er träumt von einer neuen, wirklich demokratischen Kultur und kämpft dafür.
Anders als viele seiner Künstlerkollegen glaubt Majakowski, dass auch die Künstler selbst Revolution machen müssen. Mit einschlägigen Versen wird er zur poetischen «Stimme des Oktobers»:
«Friss Ananas, Bürger, und Haselhuhn. / Musst bald deinen letzten Seufzer tun.»
Perspektive der Künstler
Doch weshalb die Geschichte ausgerechnet aus der Sicht der Künstler erzählen? Weil sich in ihren Zeitzeugnissen das damalige Leben besonders plastisch zeigt.
Die Kunst kann die Stimmung einer Zeit erfassen, aber auch klar mitbestimmen. Erwartungen, Hoffnungen, Ernüchterungen – in den Stimmen dieser Künstler wird das Russland von 1917 wieder lebendig.
Aus diesen Zeugnissen vernehmen wir zwar verschiedene Wahrheiten und nicht eine einzige. Denn die Revolution von 1917 ist ein vielstimmiges Ereignis. Doch «Der wahre Oktober» zeigt, dass die Worte und Werke von Künstlern zu einem breiteren Verständnis der Geschichte beitragen.