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100. Todestag Rudolf Steiner Das ambivalente Erbe des Anthroposophen

Von Demeter über Waldorfpädagogik bis Weleda – Rudolf Steiners Erbe ist populär. Doch die Anthroposophie steht wegen Esoterik und Rassenideologie in der Kritik. Wie geht man damit um?

1923 sagte Rudolf Steiner in einem Vortrag: «Der Neger hat also ein starkes Triebleben – Und weil er eigentlich das Sonnige, Licht und Wärme, da an der Körperoberfläche in seiner Haut hat, geht sein ganzer Stoffwechsel so vor sich, wie wenn in seinem Innern von der Sonne selber gekocht würde.» Es ist nicht die einzige Äusserung, die Steiner Rassismus-Vorwürfe einbringt. Was sagt man in anthroposophischen Kreisen dazu?

«Über Steiners rassistische Aussagen wird dort nicht gerne gesprochen», sagt Helmut Zander, Steiner-Biograf und Religionshistoriker an der Universität Freiburg. Man tue sich schwer damit, Steiner nach aussen hin zu kritisieren.

Foto von Rudolf Steiner
Legende: Rudolf Steiner hat die Anthroposophie begründet, eine spirituelle und esoterische Weltanschauung. Auf seiner Waldorfpädagogik basieren die Waldorf- und Steiner-Schulen. IMAGO/Album

Dass das zumindest so war, bestätigt Vanessa Pohl. Sie unterrichtet an der Steiner-Schule Münchenstein und ist in der «Arbeitsgemeinschaft Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz und Liechtenstein» tätig. «Noch 2007 fiel es unserem Verband schwer, sich von Steiners diskriminierenden Aussagen zu distanzieren. Heute ist das kein Problem mehr.»

Zur Frage, ob es Verbindungen zwischen rechten und anthroposophischen Kreisen gebe, sagt Pohl: «Für die Schulen in der Schweiz haben wir das geprüft, aber bis jetzt keine Anhaltspunkte dafür gefunden. Für den Verband und meine Schule ist klar, dass wir mit diesen Ideologien nichts zu tun haben wollen.»

Stets prüfen, ob Steiners Anregungen noch passen

Alle Schulen müssten ein Präventionskonzept und eine Meldestelle haben. «Dazu gibt es zweimal jährlich eine Weiterbildung für die verantwortlichen Personen. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht.» Arbeitsgruppen, die Steiners Erbe kritisch aufarbeiten, gebe es an Schweizer Steiner-Schulen ihres Wissens nicht.

Schulzimmer mit Lehrer und Schülerinnen
Legende: «Sternkunde»: Astronomie-Unterricht in der 7. Klasse der Rudolf Steiner Schule Sankt Gallen. KEYSTONE/Gaetan Bally

Vor allem junge Lehrkräfte sähen Steiner heute ambivalent. «Inzwischen sind 100 Jahre vergangen. Das eröffnet Spielräume für historische Einordnung und Distanzierung, aber auch für Erneuerung», so Pohl. «Das Umfeld der Kinder verändert sich, deshalb muss stets geprüft werden, ob seine Anregungen noch passen. Gleichzeitig ist die Waldorfpädagogik ein Erfolgsmodell.»

Für Religionshistoriker Zander sind die autoritären Strukturen der Anthroposophie ein Problem. «An Steiner-Schulen fällt das zunächst nicht auf. Die Kinder spielen im Garten, sind kreativ. Eltern schätzen den Verzicht auf Noten. Oft wissen sie aber nicht, dass Steiner Lehrpersonen als Priesterinnen und Priester sah, die frühere Leben der Kinder kennen sollten.» Diese esoterische Dimension spiele für die meisten Lehrkräfte heute keine Rolle mehr, aber sie existiere noch.

Wichtig ist, das Kind an erste Stelle zu setzen – nicht die Steiner-Pädagogik.
Autor: Vanessa Pohl Lehrerin

«Autoritätsgläubigkeit war lange ein Problem», sagt Pohl. Personenkult dürfe aber an Schulen keinen Platz haben. «Heute muss sich Steiner-Pädagogik dem erziehungswissenschaftlichen Diskurs stellen. Das gilt auch für unsere Lehrkräfte. Wichtig ist, das Kind an erste Stelle zu setzen – nicht die Steiner-Pädagogik.» Anthroposophie werde nicht unterrichtet, der Unterricht sei wissenschaftsbasiert.

Rudolf Steiners rassistische Äusserungen machen nur einen kleinen Teil seines Gesamtwerks aus, doch es gibt sie. Neben all dem Positiven, das die Waldorfpädagogik zu bieten hat, dürfe man die Schattenseiten der Anthroposophie nicht aus dem Blick verlieren, findet Zander: «Die Anthroposophie hält viele tolle alternative Ansätze bereit, etwa in Medizin und Pädagogik. Aber es gibt den ganzen Rest eben auch.»

SRF 1, Sternstunde Religion, 30.3.2025, 10:05 Uhr.

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