In einer Schreinerei oder auf der Gemeindeverwaltung die dreijährige Lehre absolvieren, gleichzeitig oder danach die Berufsmatur machen, das ist eine Möglichkeit, die Lernenden im dualen Bildungssystem der Schweiz zur Verfügung steht. Danach können sie eine Fachhochschule besuchen.
Wer die private Steiner-Schule im Aargau besucht, kann Matur machen, zum Beispiel an der Atelierschule in Zürich. Aber Lehrabschluss samt Eintrittsticket an eine Fachhochschule gibt es nicht. Das ändert nun. Die Rudolf-Steiner-Schule im aargauischen Schafisheim geht nach 40 Jahren neue Wege. Sie plant als erste in der Schweiz eine Ausbildung in der beruflichen Grundbildung an, mit Fokus Wirtschaft.
Mit der Zeit gehen?
Am Ende der neuen Wirtschaftsmittelschul-Ausbildung hat eine Steiner-Schülerin ein eidgenössisches KV-Fähigkeitszeugnis (EFZ) plus eine Art Berufsmaturität (IMS-Abschluss), der den Besuch bestimmter Studiengänge an einer Fachhochschule erlaubt.
Jan-Christoph von Deschwanden, Projektleiter und Lehrer an der Privatschule in Schafisheim, begründet die Neuerung so: «Jedes Unternehmen muss sich entwickeln, erst recht eine Privatschule. Wir wollten attraktiv bleiben.»
Jedes Unternehmen muss sich entwickeln, erst recht eine Privatschule
Das Angebot richtet sich nicht nur an Steiner-Schüler, sondern auch an Abgänger der Volksschule. Im Sommer 2027 ist der erste Wirtschaftsmittelschul-Lehrgang fertig.
Drei Jahre Theorie, ein Jahr Praktikum
Die ersten drei Jahre absolvieren die Wirtschaftsmittelschüler Pflichtfächer wie Französisch, Mathematik, Deutsch, aber auch Finanz- und Rechnungswesen, Wirtschaftsgeografie und Kommunikation. Nach drei Jahren Theorie folgt die Praxis, ein einjähriges Praktikum in einem kaufmännischen Betrieb.
Wirtschaftsleben und die Schule, die sozialen Gedanken, Kreativität und freies Leben zelebriert, passt das zusammen? Jan-Christoph von Deschwanden von der Steiner-Schule Schafisheim bejaht: «Rudolf Steiner hat sich Gedanken gemacht, wie eine Gesellschaft vernünftig und logisch aufgebaut sein kann. Dazu gehören Schulen, aber eben auch der Bereich der Wirtschaft unter dem Ideal der Brüderlichkeit.»
Seit einigen Jahren gebe es Unternehmen, die Wirtschaft neu denken würden, glaubt Projektleiter von Deschwanden. «Zum Beispiel die Firma Freitag in Zürich, die sehr auf Nachhaltigkeit setzt. Solche Firmen wollen wir gewinnen.»
Wirtschaft hofft auf Fachkräfte
Die Wirtschaft selbst ist offen für die neue Ausbildung der Steiner Schule. Beat Bechtold, Direktor der Aargauischen Industrie- und Handelskammer, kannte das Konzept bisher nicht. Es überrasche ihn, aber sei willkommen: «Es ist sicher ein wichtiges und richtiges Angebot, wenn man das mit Blick auf den Fachkräftemangel anschaut. Es werden Leute ausgebildet, die im Arbeitsmarkt eingesetzt werden können.»
Das ist ein richtiges Angebot mit Blick auf den Fachkräftemangel.
Allerdings müssten die kantonalen und nationalen Vorgaben der beruflichen Grundbildung erfüllt werden, hält Bechtold von der Aargauischen Handelskammer fest. Er denkt an eine Lehrabschlussprüfung, zum Beispiel. Die Steiner-Schule Schafisheim plant das ab Schuljahr 2023/24 anzubieten.
Momentan fehlen der Schule noch 15 Plätze in Unternehmen, die die einjährigen Praktika anbieten. Der Antrag für die neue Wirtschaftsmittelschule liegt noch beim Kanton. Im Sommer 2023 soll die Premiere an der Privatschule starten. Dann zeigt sich, wer sich für diesen Einstieg in die Wirtschaft entscheidet.