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50. Todestag von Carl Lutz «Wenn jemand Hilfe braucht, dann muss man ihm helfen»

Während des Zweiten Weltkrieges hatte Carl Lutz zehntausenden Jüdinnen und Juden das Leben gerettet. Zu seinem 50. Todestag wird nun in seinem Geburtsort Walzenhausen AR ein Pop-up-Museum eröffnet. Seine Stieftochter Agnes Hirschi erzählt, wie sie die Erinnerung an den Schweizer Helden hochhält.

Agnes Hirschi-Grausz

Präsidentin der Carl-Lutz-Gesellschaft

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Agnes Hirschi (geboren 1938 in London) ist Autorin, Journalistin und Holocaust-Überlebende. Einen Teil ihrer Kindheit verbrachte sie in Budapest, wo sie dem Schweizer Diplomaten und «Judenretter» Carl Lutz begegnete. Während der Belagerung der Stadt im Zweiten Weltkrieg versteckte sich die damals Sechsjährige zwei Monate lang mit der Familie Lutz in einem Luftschutzkeller. Nach dem Krieg heirateten ihre Mutter und Carl Lutz und zogen gemeinsam in die Schweiz. Hirschi hat diese Erfahrungen in ihrem Buch «Unter Schweizer Schutz» festgehalten und erinnert regelmässig an das Lebenswerk von Carl Lutz.

SRF: Im Geburtsort von Carl Lutz wird ein temporäres Museum für ihn eröffnet. Was bedeutet das für Sie?

Agnes Hirschi: Das ist für mich ein ganz wichtiges Ereignis. Carl Lutz hat sich zeit seines Lebens nach Walzenhausen zurückgesehnt, wo er eine sehr glückliche Kindheit und Jugend verbracht hat. Dass gerade hier dieses Pop-up-Museum eröffnet werden kann, erfüllt mich mit grosser Genugtuung. Ich wünschte mir, dass das ein bisschen früher geschehen wäre.

Carl Lutz wurde in Walzenhausen bereits zu Lebzeiten gewürdigt. Von der offiziellen Schweiz allerdings blieb eine solche Würdigung aus. Wie erklären Sie sich das? Und wie erinnert man sich im Ausland an Carl Lutz?

Er hat in Budapest als Vize-Konsul ungarische Juden gerettet. Als die Nazis am 19. März 1944 in Budapest einmarschierten, hat er die grosse Bedrohung erkannt. Er ist dann seinem Gewissen gefolgt – und hat nach Meinung der Schweizer Behörden seine Kompetenzen überschritten.

Yad Vashem hat ihn geehrt und er hat das Grosse Verdienstkreuz von den Deutschen bekommen. Aber in der Schweiz war man noch nicht so weit. Man hatte die Vergangenheit nicht verarbeitet. Die ganze Flüchtlingspolitik war noch ein heisses Thema und man hatte auch kein Verständnis dafür, wie schwierig die Situation in Budapest war.

Wenn jemand Hilfe braucht, dann muss man ihm helfen.

Er hat immer gesagt, er hofft auf eine Ehrung von seinem Vaterland. Und die blieb zu Lebzeiten fast mehr oder weniger aus.

Sie haben sich in den letzten Jahren dafür eingesetzt, dass Ihr Ziehvater gewürdigt wird. Was wünschen Sie sich, das von Carl Lutz in Erinnerung bleibt?

Ich habe eine wunderbare Aufgabe, dass ich über seine Rettungsaktion sprechen darf. Er hat ja mehr im Hintergrund gearbeitet. Man wusste, dass man mit einem Schweizer Schutzbrief gerettet wurde, aber wer dahinter stand, war nicht so bekannt.

Wenn jemand dann einen Vortrag hört über Carl Lutz und sagt: «Oh, jetzt weiss ich, wer mich gerettet hat», das ist für mich ein wunderbares Erlebnis. Ich bin quasi eine Reisende in Sachen Carl Lutz geworden.

Und als solche haben Sie auch das Ziel, jüngere Generationen auf die Geschichte von Carl Lutz aufmerksam zu machen. Was kann man heute noch aus seinen Taten lernen?

In den letzten Jahren habe ich mich vermehrt auf Schulen konzentriert. Wenn man die Zeitung liest und sieht, was für schreckliche antisemitische Ausschreitungen passieren und wie der Rassismus wieder grassiert und Leute ausgegrenzt werden, dann muss ich sagen, es ist wunderbar, wenn man über so einen Mann wie Carl Lutz berichten darf. Er war ja ein Methodist und es war für ihn selbstverständlich, dass er den bedrohten Juden helfen musste. Wenn jemand Hilfe braucht, dann muss man ihm helfen.

Jetzt wird in Walzenhausen ein Pop-up-Museum eröffnet, vorerst bis Ende Jahr. Dann soll entschieden werden, wie es danach weitergeht. Ich nehme an, für Sie ist die Sache klar: Sie wollen ein permanentes Museum?

Natürlich hoffe ich, dass das weitergeht. Und vor allem soll auch ein Informationszentrum für Schulen entstehen. Das scheint mir das Allerwichtigste. Ich staune immer: Trotz der 20-jährigen Bemühungen der Vorträge, der Filme, der Ausstellungen treffe ich immer wieder Leute, die noch nie den Namen Carl Lutz gehört haben.

Das Gespräch führte Oliver Kerrison.

Das Carl-Lutz-Museum

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Das Walzenheimer Museum für Carl Lutz ist ein weiterer Schritt auf dem langen Weg um Anerkennung für sein Handeln.

Im nun eröffneten temporären Museum wird bis Ende Jahr das Besucheraufkommen analysiert. Dann wird entschieden, wie es weitergeht. Danach könnte also auch ein permanentes Museum für Carl Lutz entstehen.

Radio SRF 4 News, 12.2.2025, 8:20 Uhr ; 

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