Das kränkt das Herz! Computer nehmen dem Menschen eines der letzten Alleinstellungsmerkmale: die Fähigkeit, Kunstwerke zu schaffen.
In Musik und visueller Kunst ist das kein Aufreger mehr. Künstler arbeiten seit Jahren erfolgreich mit dem Computer zusammen.
Auch in der Literatur schreiben Computer Geschichte. 2016 machte eine japanische Kurzgeschichte Furore: «The Day a Computer writes a Novel». Sie kam in die zweite Runde eines Science-Fiction-Literaturwettbewerbs. Dann stellte sich heraus, dass die Geschichte das Werk einer Software war.
«Eine Revolution», sagt Zukunftsforscher Bernd Flessner. «Erstmals haben Experten nicht bemerkt, dass eine literarische Geschichte von einem Algorithmus stammt.»
Es war der Tag, an dem ein Computer einen Roman schrieb. Ein Computer, der seinem Streben nach Freude den Vorzug gab, hörte auf, für Menschen zu arbeiten.
Die Software leistete jedoch nur einen Teil der Arbeit. Ein Autor gab die Wörter und Informationen über Figuren, Stimmung und Stil ein. Im Nachgang überarbeitete er, was der Computer zusammengewürfelt hatte.
Computergenerierte Literatur stammt aber nicht aus unserer Zeit. 1959 schrieb der deutsche Informatiker Theo Lutz «autopoeme» am Computer: rein berechnete Gedichte.
Am Anfang war: sinnfreie Poesie
Er wählte etwa Wörter aus Franz Kafkas «Das Schloss» und liess sie zu einem Zufallstext zusammenstellen: «Ein Bild ist frei oder ein Fremder ist tief. Ein Gast ist tief und kein Turm ist fern.»
Viel Unfug wie dieser entstand. Eine ganze Generation von Computer-Dichtern, deren Werke an konkrete – sinnfreie – Poesie erinnern. Einer der Bekanntesten unter ihnen: Gerhard Stickel (siehe Abbildung oben).
«Der revolutionäre Wandel heute besteht darin, dass wir nicht mehr Informatiker sein müssen, um Geschichten am Computer zu generieren», sagt Bernd Flessner.
«Autoren können selbst gute Vorlagen am Computer erstellen. Der Autor wird zum Supervisor, der kontrolliert und korrigiert.»
Handlung schnell durchrechnen
Drehbücher werden bereits erfolgreich am Computer berechnet – besonders für Serien. Da gibt es viel Material, das zu neuen Folgen kombiniert werden kann. «Bei ‹Friends› zum Beispiel schrieben Algorithmen mit», sagt Flessner.
«So kann ein Autor etwa sagen: Ich führe einen Onkel ein. Wie geht es dann weiter? Der Computer rechnet das in wenigen Minuten durch. Ein Autor bräuchte Tage, um die Handlung anzupassen.»
Skurriler Unsinn
Auch bei mehrteiligen Büchern funktionieren Algorithmen als Co-Autoren. 2017 hat das New Yorker Künstlerkollektiv «Botnik» eine Software mit sieben Bänden Harry Potter gefüttert.
Heraus kam ein neues Kapitel: «Harry Potter und das Porträt, das nach einem grossen Haufen Asche aussieht.» Die generierte Geschichte ist ein grosser Haufen Unsinn, der Potter-Fans aber trotzdem glücklich macht.
Harry riss seine Augen aus seinem Kopf und warf sie in den Wald. Voldemort hob seine Augenbrauen gegenüber Harry, der in dem Moment nichts davon sehen konnte.
Ein Gemisch aus Sinn und Unsinn ist auch das aktuelle Buch des österreichischen Autors Clemens J. Setz. Beziehungsweise jenes Buch, das eine Software aus Setz’ Journalen am Rechner zusammengestellt hat: «Bot. Gespräch ohne Autor».
Die Verlegerin stellte Fragen, ein Algorithmus suchte passende, bzw. unpassend absurde Antworten dazu heraus. Ein bizarres Lesevergnügen – zum Hineinlesen, Durchlesen ist kaum möglich.
‹Sie zitieren öfters Dantes ‹Nel mezzo del cammin› – was verbinden Sie mit der Mitte des Lebens?› – ‹Ein in den Armen seiner Mutter liegendes Baby schaute, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, einem dunkelblauen Auto beim langsamen Einparken zu.›
Bis hohe, kohärente Literatur von künstlicher Intelligenz geschrieben wird, müssten wir uns noch eine Weile gedulden, sagt Zukunftsforscher Bernd Flessner. Eine Nachbildung des menschlichen Denkens sei weitaus schwieriger, als ein Musikstück zu generieren oder eine Grafik.
Rechner schöpft aus Daten statt Erfahrungen
Doch: «Wir geben immer mehr Informationen aus unserem Leben in Form von Daten preis. Smarte Sensoren – wie der digitale Assistent Alexa, der auf Sprachbefehle reagiert – nehmen Informationen aus unserem Leben auf. Diese können von Algorithmen genutzt werden. Sie werden uns irgendwann besser kennen, als je ein Mensch», so Flessner.
Computer müssen nicht emotional sein
Auch wenn Algorithmen unsere Emotionalität und Kreativität nie haben werden: Ihr Werk kann trotzdem emotional sein. Ein Computer muss nicht fühlen können, damit wir als Rezipient das tun können. Zwischen den Zeilen wird immer Platz für unsere Gefühle und Assoziationen sein.
Ganz besonders mitfühlen können wir in Zukunft bei personalisierter Literatur, davon ist Bernd Flessner überzeugt. «E-Book-Reader werden eine Software anbieten, wo ich als Leser eingeben kann, was ich lesen möchte. Zum Beispiel: Harry Potter trifft Darth Vader, im Stil von Agatha Christie. Das ist bald nur noch eine Frage von Lizenzen.»
Vorstellbar ist auch, dass Reader mit Sensoren ausgestattet sind und je nach Reaktion des Lesers den Text immer wieder abändern, sagt Flessner. So könne der Algorithmus die Zahl der Mordopfer oder der erotischen Abenteuer erhöhen.
Reader reagiert auf Gefühle
Unsere Kinder wird es sicher nicht schockieren, wenn Geschichten von Algorithmen geschrieben werden. Sie werden ganz im Gegenteil eher sagen: Was? Die Geschichten, die ihr früher gelesen habt, waren eingefroren? Da konnte man keinen Einfluss nehmen? Wie langweilig!