Nicolas Aebi ist 49 Jahre alt. Er hat drei Kinder von drei verschiedenen Frauen. Von den Müttern ist er getrennt, die Beziehung mit den Kindern ist ihm geblieben.
Mit 23 ist Nicolas Aebi das erste Mal Vater geworden. Dass er sich die Erziehung mit der Mutter teilt, war von Anfang an klar: «Die Mutter wollte arbeiten. Und ich habe immer schon gedacht, wenn ich mal Vater werde, will ich nicht nur das Geld nach Hause bringen, sondern auch präsent sein. Das war mir wichtig, sonst hätte ich keine Kinder gemacht.»
Bindung muss vorher bestehen
Mit 30 Jahren wird Nicolas Aebi das zweite Mal Vater und dann nochmal mit 40. Die Erziehung und Fürsorge für die Kinder habe er sich immer mit der jeweiligen Mutter geteilt.
Mit seiner Arbeit als Fotograf ging das streckenweise gut: «Zeitweise hat man nicht vor zwölf Uhr angefangen zu arbeiten. Da haben die Mütter gearbeitet und ich konnte mich viel um die Kinder kümmern. Ich habe das immer gerne gemacht.»
Wenn sich die Väter vor der Trennung in der Familie fürsorglich in die Kindererziehung einbringen, sei das auch nachher kein Problem. Beginnen sie damit erst im Moment der Trennung, führe das zu Problemen, sagt auch Christoph Adrian Schneider von Männer.ch, dem Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen.
Schneider rät demzufolge zu einer «engagierten Präsenz» in der Erziehung während einer Partnerschaft: «Der Bezug zu den Kindern ist sonst nicht vorhanden. Die Zeit mit ihnen kann nicht kompensiert werden.»
Nicolas Aebi hat sich von Beginn an für die Familie engagiert. Das wurde ihm von seinen Eltern so vorgelebt. Und er hat erfahren, wie sich das nach einer Trennung fortsetzen kann. Er sei selbst Scheidungskind, habe vier Tage in der Woche bei der Mutter und drei beim Vater gelebt. «Das ging gut», sagt er rückblickend.
In Frieden auseinandergegangen
Vor acht Jahren erkrankt die Mutter von Aebis zweitem Sohn, so dass dieser zu ihm zog. Nicolas Aebi hatte zu der Zeit verschiedene Jobs als Fotograf. «Aber das ging natürlich nicht mehr, ich musste für das Kind da sein und habe dann 2012 gekündigt.» Aebi arbeitet seither freiberuflich.
Dann kam noch ein drittes Kind hinzu, auch dieses Kind zog Aebi erst gemeinsam mit der Mutter gross. Aber auch diese Beziehung ging – im Frieden – auseinander.
Mit zweien der Mütter hat Nicolas Aebi ein gutes Verhältnis, mit der Mutter seines ersten Sohnes und deren neuem Partner ging er sogar zusammen mit den Kindern in die Ferien.
Im Normalfall gibt es massive Probleme
So etwas sei allerdings eine Ausnahme, sagt Gaudenz Löhnert, Leiter des Männerbüros Region Basel. Bei Trennungen seien «Streitigkeiten um Unterhalt und Sorgerecht der Normalfall». Auch nach vollzogener Trennung könne es massive Probleme geben, «wenn etwa Wut und Enttäuschung dazu führt, das Kind vom Partner wegzuhalten» oder der Erziehungsstil des Ex-Partners manipulativ vor dem Kind kritisiert «und dieses so in Loyalitätskonflikte» gebracht werde.
Heute hat Nicolas Aebi «zu allen drei Kindern eine intensive Beziehung», wie er selbst sagt. Der Älteste ist 25. «Der ruft nicht mehr jeden Tag an.» Er vermisse ihn. Der Zweite ist 16, lebt seit acht Jahren ausschliesslich bei Aebi und hat «gerade eine Lehrstelle in seinem Traumberuf gefunden.» Die Jüngste ist 11, sie kommt an den Wochenenden, auch unter der Woche, aber «feste Tage lassen sich in der Corona-Zeit kaum einhalten».
Zusammen Kinder zu erziehen sei schön, weil man es sich teilen könne, es entlaste. Prinzipiell sei es heute schwierig, Beruf, Kinder, Partnerschaft und Freizeit unter einen Hut zu bringen. Das sei keine Kritik am Zeitgeist, es sei einfach so. Allein zu erziehen sei für ihn kein Problem, allerdings sei es für die Kinder besser, wenn sie mit einer «weiblichen und einer männlichen Energie» aufwüchsen, findet Aebi.
Unterschiede bei der Beziehung
Alleinerziehende Mütter würden vielleicht ausgewogener kochen als alleinerziehende Väter, sagt er und lacht. Wobei das in seinem Fall nicht stimme, er koche sehr gerne.
Einen Unterschied sieht er in der Tatsache, dass die Mutter das Kind zur Welt bringe und stille, da gebe es während der ersten Jahre eine nähere Bindung. Es hänge aber nicht immer vom Geschlecht ab, sondern sei eher von Mensch zu Mensch verschieden.
Auch Männer könnten nahe Beziehungen entwickeln. Wenn er merke, dass seine Tochter «manchmal mehr Zuwendung braucht als die Jungs», sei er durchaus in der Lage, ihr diese Nähe und Wärme zu geben.
Die Ängste sind dieselben
«Ansonsten plagen Männlein und Weiblein ähnliche Sorgen», sagt Nicolas Aebi. Es könne jedem passieren, dass er oder sie mal in der Badi ist, «20 Sekunden nicht hinguckt und schon steht das zweijährige Kind auf dem 5-Meter-Brett»
Das sei immer sein grösster Horror gewesen, dass da was passiert. «Da kann ich auf Holz klopfen, keine Verstauchung, nichts. Und das sind immerhin über vierzig gelebte Jahre, wenn man die Kinderjahre zusammenzählt. Das macht mich stolz, dass man gut geschaut hat.»
Über Sorgen sprach er mit seinen Eltern, Freunden und: «Wir haben eine grosse Familie. Da tauscht man sich wie selbstverständlich aus.»
Männer tauschen sich selten aus
Das ist nach Gaudenz Löhnerts Erfahrungen im Basler Männerbüro eher die Ausnahme. Männer tauschten sich selten aus, es brauche einiges, bis sie beratende Unterstützung annähmen: «Wenn sie kommen, dann sagen sie, sie hätten schon fünfmal die Website angeschaut, aber immer gezögert.»
Das bestätigt auch die Schweizer Familienforscherin Margrit Stamm. Sie sagt, Männer würden immer mehr zum schweigenden Geschlecht. «Sie fressen ihre Probleme in sich hinein. Sie trauen sich nichts mehr zu, und sie trauen sich vor allem auch nicht, mit den Frauen in einen Diskurs zu treten. Weil sie sowieso angeprangert werden.»
Plötzlich allein, aber nicht verloren
Benno Stupf war plötzlich allein mit zwei Kindern. «Sie war zu Hause, ich ging arbeiten. Als die Kinder grösser wurden, hat sie eine Ausbildung begonnen, und so bin ich nach der Arbeit gleich nach Hause und habe übernommen. Sie war fast fertig mit der Ausbildung, da ist es passiert. Verkehrsunfall. Sie war von einem Moment auf den anderen tot. Wir waren fast zehn Jahre verheiratet, die Kinder waren acht und neun Jahre alt. Für mich war der Verlust dramatisch und tragisch – auch für die Kinder. Aber ich war 50 Jahre alt, hatte schon viel Erfahrung. Ich war nicht verloren.»
Das Emotionale brauche seine Zeit. Trotzdem habe er sofort wieder funktionieren müssen. «Ich habe das vorher schon gerne gemacht, das Hüten, das Erziehen. Ich würde mich eher als modernen mitteleuropäischen Vater sehen.» Es war viel mehr Verantwortung. «Nichts wirklich Neues, keine neue Rolle», denn er habe sich immer beteiligt, vor der Ehe seinen eigenen Haushalt geführt. «Also ich wusste, worum es geht.»
Unterstützung fand er kaum in der Familie. «Die ist über viele Länder verteilt.» Aber die Dorfgemeinschaft half, die Schule zeigte sich verständnisvoll, der Arbeitgeber kulant. Aber nach einer Zeit hiess es: zurück zur Arbeit.
Wenn Benno Stupf morgens losmusste, schliefen die Kinder noch, mussten alleine aufstehen und in die Schule. «Ich musste ihnen viel zumuten.» Erst abends kehrte er heim. Das konnte nicht lange gut gehen. Er wurde arbeitslos. Die Familie lebte vom Arbeitslosengeld. Das ging eine Zeit.
Kinder mussten ins Internat
Es wäre nicht machbar gewesen, voll zu arbeiten und sich noch um die Kinder zu kümmern. Das wäre selbst mit allen Nachbarn und allem Entgegenkommen von Schulen nicht gegangen. Es brauchte eine neue Lösung. Die Kinder waren einverstanden, eine Zeit lang ins Internat zu gehen. Benno Stupf arbeitete wieder voll, am Wochenende war die Familie beisammen.
In dieser Zeit versuchte er, den Kindern Wärme, Geborgenheit und Sicherheit zu geben, so gut es ging: «Ein Vater kann genauso eine gute Mutter sein, wie eine Mutter ein guter Vater sein kann.»
Die klassischen Zuschreibungen von männlichen und weiblichen Verhaltensweisen findet er schwierig: «Ich kenne Mütter, die sind emotional kühler, eher Kopfmenschen und ich kenne Männer, die sind emotional und Herzmenschen. Unterschiede bestehen zwischen Menschen weniger zwischen Geschlechtern.»
Die Schweizer Familienforscherin Margrit Stamm hat mit der Tarzan-Studie Mythen und Vorurteile untersucht, die über Väter und Mütter bestehen. Ein Mythos ist der, die Mutter sei von Natur aus die bessere Erzieherin, die fürsorglichere Person. «Dieses Vorurteil ist wissenschaftlich widerlegt, aber noch immer weit verbreitet. Im ersten Moment war ich schockiert, als ich die Ergebnisse gelesen habe. In unserer Studie waren 60 Prozent der Frauen und fast 70 Prozent der Männer noch immer dieser Ansicht, und das war im Jahr 2018», sagt Margrit Stamm.
«Zahlt euren Frauen die AHV»
Benno Stupf hat sich nicht als schlechte Mutter gefühlt. Negative Reaktionen habe er als Alleinerziehender keine wahrgenommen, Bewunderung auch nicht. Aber er hat sich anders benachteiligt gefühlt. Denn die Frage blieb, wie man als Alleinerziehender Familie und Job unter einen Hut bekommt.
Das Besondere an seiner Situation war: Eine Frau könnte von einer Witwenrente leben, ein Mann nicht. Denn: «Die Männer vergessen ihrer eigenen Frau die AHV zu zahlen. Darum mein Rat an alle Männer, die verheiratet sind: Zahlt euren Frauen den Minimalbetrag der AHV, IV, Witwen- und Waisenrente. 10 Jahre lang, dann gibt’s was.»
Heute ist die Familie wieder beisammen, die Kinder sind grösser. Sie hätten ein intensives Verhältnis, sagt Benno Stupf. Einfach sei es nicht gewesen als Alleinerziehender, «aber ich finde nicht, dass es die Schwierigkeit gab, dass ich keine Frau bin. Es kommen Momente in der Adoleszenz von Kindern, wo man erklären muss, wie das läuft mit der Periode und mit der ganzen Körperhygiene und so, das ist ein bisschen, nun ja ... Aber man kann das schon machen. Da gibt's halt Hindernisse, die kann man überwinden».
«Politisch gibt's noch was zu tun»
Ob als Elternpaar, alleinerziehend oder in einer Partnerschaft, noch nie sei so viel möglich und akzeptiert gewesen wie heute, sagt Stupf. Aber einen Wunsch hat er noch: «Gleichberechtigung. Wenn das mal so weit wäre. Super. Rentenalter gleich, Renten gleich. Verdienst gleich. Dann gebe es auch nicht mehr grosse finanzielle Löcher.»
Also politisch gebe es noch was zu tun. Nicht extra für Männer, die alleinstehend sind, sondern ganz grundsätzlich: «Wenn man Frauen und Männer gleich behandeln würde, hätten wir auch in dieser Beziehung weniger Probleme.»
Etwas wollte Benno Stupf immer anders machen, als er es in seiner Familie erlebt hat. Sein Vater starb mit 37 Jahren. In exakt dem Alter verstarb auch seine Frau. Seine Mutter blieb allein: «Eine Witwe.» Stupf wollte das nicht, allein bleiben. Heute lebt er in einer Patchwork-Familie.