Noa (14): «Bis jetzt gibt’s nichts, was ich vor ihm geheim halte.»
Mein Papa ist Berufsmusiker und abends und am Wochenende oft weg. Bis ich in den Kindergarten gekommen bin, hat er tagsüber auf mich aufgepasst. Er hatte damals ein grosses Atelier, in dem viele Instrumente herumstanden.
Eigentlich waren wir öfters dort als zu Hause. Es gibt ein Foto, auf dem er mit einer Hand Schlagzeug spielt und ich auf dem anderen Arm schlummere. Die Musik hat uns immer verbunden. Tut sie immer noch.
Das Zuhause ist Musik
Durch das Atelier habe ich schon früh Saxophon-, Schlagzeug- und Klavierspielen gelernt. Dafür bin ich mega dankbar. Es gibt Teenager in meinem Alter, die noch nie an einem Konzert waren. Für mich war das durch meinen Papa schon immer Alltag. Er hat mich mitgenommen, so oft es ging.
Jetzt bringt er mir Bassspielen bei – zusammen mit anderen Teenagern in einer Musikschule. Bei meinem Dad Unterricht zu haben, ist cool. Er lässt mich auch mal was Verrücktes ausprobieren.
Eigentlich hat er nur zugehört. Aber das hat schon geholfen.
Irgendwie ist es überhaupt nicht anders, als daheim mit ihm zu proben. Er ist nicht strenger zu mir als zu den anderen. Tatsächlich ist er aber zu keinem dort streng. Das ist nicht seine Art.
Er ist ein sehr lockerer Typ, der auch gerne mal ausschläft – etwas, das ich definitiv von ihm habe. Meine Mama sagt öfter mal: «Noa, räum dein Zimmer auf.» Für meinen Papa ist es easy, solange man noch durchlaufen kann.
Und dann kam die kleine Schwester ...
Bis jetzt gibt es nichts, was ich vor ihm geheim halten würde. Ich glaube, das liegt daran, dass er mir auch oft erzählt, was ihn beschäftigt.
Als ich in der sechsten Klasse richtig fest verknallt war, habe ich mit ihm darüber gesprochen. Wobei: Eigentlich hat er nur zugehört. Aber das hat schon geholfen.
Als sich meine Eltern getrennt haben und mein Papa mit seiner neuen Frau ein Kind erwartete, war das anfangs nicht so einfach für mich. Ich wusste, dass ich ihn jetzt teilen muss.
Mittlerweile ist es aber völlig okay für mich. Wenn wir gerade etwas besprechen und meine kleine Schwester dazwischenfunkt, sagt er ihr, dass sie warten soll. Eigentlich sind wir aber immer in Kontakt – etwa über unseren Whatsapp-Gruppenchat, in dem Papa, sein Bruder und ich uns austauschen.
Wenn mein Papa stolz auf mich ist – zum Beispiel, wenn ich etwas vorspiele –, zeigt er mir das mit einem ganz bestimmten Blick. Dass ich die Musik nicht zum Beruf machen will, findet er völlig okay. Ich glaube, das Wichtigste für ihn ist, dass ich glücklich bin.
Lorin (17): «Sowas wie echte Männlichkeit gibt’s für meinen Vater nicht»
Mein Vater hält sich lieber raus. Ob ich zu Freunden darf oder wann ich zu Hause sein muss, hat schon immer meine Mama bestimmt.
Nur beim Thema Ordnung macht er klare Ansagen: Er kann's nicht leiden, wenn meine Schuhe im Gang rumliegen oder wenn ich vom Küchentisch aufstehe, ohne meinen Teller abzuräumen. Aber das war's eigentlich schon.
Ich glaube, dass er stolz auf mich ist.
Seit ich denken kann, kommt mein Vater immer erst um 19 Uhr zum Znacht nach Hause. Wenn ich morgens aufstehe, ist er oft schon weg. Er arbeitet ziemlich viel.
Dass er nie dabei war, wenn ich nach der Schule mit meiner Mutter trashige Serien im TV geschaut oder ihr von nervigen Unterrichtsstunden erzählt habe, finde ich schade. Vermisst habe ich es aber nie so richtig. Ich kenne es ja nicht anders.
Er spricht nicht über Gefühle
Ob mein Vater gerne mehr für mich dagewesen wäre, weiss ich nicht. Er spricht nicht wirklich über seine Gefühle. Zumindest nicht mit mir. Wenn wir beim Znacht Dinge ansprechen, die ihm unangenehm sind, wechselt er schnell das Thema. Manchmal wünsche ich mir, er wäre da offener.
Wenn mich etwas beschäftigt, rede ich meistens erst mit meiner Mutter darüber. Auch bei meinem Coming-out war das so. Meinem Vater habe ich nichts davon erzählt.
Ich kann nicht sagen, warum, aber ich habe mich beim Gedanken, mit ihm persönlich darüber zu reden, unwohl gefühlt. Er hat auch nie das Gespräch mit mir gesucht, nachdem meine Mum ihm davon erzählt hat. Trotzdem spüre ich, dass er es easy findet.
Echte Männlichkeit – sowas gibt’s für meinen Vater sowieso nicht. Das einzig vermeintlich richtig männliche, was wir mal zusammen gemacht haben, war eine Modelleisenbahn in unserem Hobbyraum aufzubauen.
Ich habe mich nie für Fussball und sowas interessiert – er schon. Ein Thema war das aber nie. Dass ich im Turnen in einer Gruppe war, die fast nur aus Mädchen bestand, hat er genauso unterstützt wie meinen Aktivismus in der Milchjugend. Ich glaube, dass er stolz auf mich ist. Er ist ein guter Vater, denke ich.
Anna (19): «Ich denke, er will mich einfach beschützen»
Die Beziehung zu meinem Papi: nicht immer einfach. Als ich 13 war, hätte ich das wohl sehr viel drastischer ausgedrückt. Er kam mir damals überdurchschnittlich streng vor.
Während andere in meinem Alter ein Handy hatten oder mit Freundinnen bis abends abmachen durften, hockte ich daheim. Ohne Handy.
Zu meinem ersten Freund durfte ich nie nach Hause. Auch bei meiner aktuellen Beziehung gibt es klare Regeln von Papa: Unter der Woche darf ich nicht bei meinem Freund übernachten. Ich werde dieses Jahr 20.
Warum er es mir verbietet, weiss ich nicht genau. Schon damals hat er mir seine vielen «Neins» nicht erklärt. Inzwischen kann ich mir die Gründe aber denken.
Ich wäre bei der Geburt fast gestorben, war als kleines Kind sehr krank. Bei meinem Vater hat das wohl Spuren hinterlassen. Er will mich einfach beschützen.
Wie der Vater, so die Tochter
Seine strenge Art hat oft zu Streit geführt. Weil ich genauso aufbrausend bin wie er, wurde es auch mal laut. Als es um meine Studienwahl ging, ist es so eskaliert, dass ich kurzzeitig zu meinem Freund gezogen bin.
Mein Vater wollte, dass ich Medizin studiere. Er meinte, ich hätte das Zeug dazu. Ich habe mich für Modedesign entschieden. Es hat etwas gedauert, aber irgendwann hat er’s akzeptiert.
Wahrscheinlich wurde ihm klar, dass er mich immer dazu ermutigt hatte, für meine Träume zu kämpfen. Vielleicht auch, weil er schnell merkte, wie ich im Studium meine Kreativität auslebe. Eine Stärke, die ich definitiv von ihm habe.
Mittlerweile ist es viel entspannter zwischen uns. Bei vielem bitte ich ihn nicht mehr um Erlaubnis – und wenn doch, ist es ein bisschen wie auf dem Markt: Wir verhandeln, bis einer nachgibt.
Obwohl mich seine Verbote oft frustriert haben, sind mein Vater und ich ein super Team. Auch weil wir uns in vielen Dingen sehr ähnlich sind: Über unsere Gefühle sprechen wir nicht gern.
Traktorfahrstunden als Liebesbeweis
Trotzdem können wir auch lange Gespräche führen. Wir reden dann darüber, was uns beschäftigt oder lästern über Leute, die wir nicht mögen. Wir lachen auch sehr viel. Mein Vater hat einen grossartigen Humor.
Als ich klein war, hat er mir vor dem Schlafengehen immer lustige Geschichten von der Nutella-Hexe erzählt, hat stundenlang mit mir gelernt und mitgefiebert, wenn ich eine Prüfung hatte.
Heute zeigt er mir seine Liebe, indem er mir das Traktorfahren beibringt – und nicht durchdreht, obwohl ich manchmal auch einen Zaun ramme.
Ich bin froh, dass ich genau diesen Papi habe. Und ich weiss, dass ich zu ihm kommen kann, wenn ich Unterstützung brauche. Immer.