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Bezahlt gepflegt – en famille
Aus Kontext vom 25.08.2023. Bild: Keystone/GAETAN BALLY
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Alternatives Spitex-Modell Wenn der eigene Ehemann der Pfleger ist – und dafür bezahlt wird

In der Pflege mangelt es an Personal. Spitex-Organisationen stellen deshalb vermehrt Angehörige an. Ein Zukunftsmodell?

Als der Berufsschullehrer Sepp Köppel (76) pensioniert wurde, erhielt seine Frau Maria eine belastende Diagnose: Multiple Sklerose. Diese fortschreitende Krankheit führt zu motorischen Störungen bis hin zu Muskellähmungen. Inzwischen ist die diplomierte Pflegefachfrau seit mehreren Jahren im Rollstuhl und auf Pflege angewiesen.

Die Pflege leistet ihr Ehemann selbst. «Nach der Pensionierung bin ich da hineingerutscht», erklärt er. «Es fiel nach und nach immer mehr Arbeit an.»

Neben dem Kochen und der Arbeit im Garten übernimmt er die Grundpflege: Er hilft seiner Frau morgens beim Aufstehen und der Körperpflege, beim Anziehen der Stützstrümpfe und dem Ankleiden. Abends steht er ihr jeweils beim umgekehrten Prozedere zur Seite.

34 Franken brutto

Für diese Arbeit braucht Sepp Köppel täglich drei Stunden. Seit zwei Jahren ist er dafür von einer Spitex-Organisation mit einem Arbeitsvertrag engagiert und wird im Stundenlohn bezahlt. Vereinbart ist, dass er täglich einen Pflegerapport schreibt und sich regelmässig mit einer Fachperson der Spitex austauscht, die ihn professionell begleitet.

Senior hilft seiner Frau in den Rollstuhl
Legende: Angestellt und bezahlt: Die Anstellung bei der Spitex hilft den pflegenden Angehörigen, sich emotional abzugrenzen. (Symbolbild) Getty Images/mixetto

Damit ist der pensionierte Berufslehrer zum teilzeitlich angestellten Pfleger seiner Frau geworden. Zwar sind die Stundenlöhne für Pflegehilfen in der Spitex mit rund 34 Franken brutto eher tief. Doch für Sepp Köppel hat die Bezahlung seiner Care-Arbeit eine übergeordnete Bedeutung.

Der Lohn vermittelt ihm eine Form von Anerkennung und zugleich die Möglichkeit, sich professionell zu distanzieren. Das weiss auch seine Ehefrau zu schätzen: «Ich habe das Gefühl, dass er so mit mehr Freude und mehr Energie dahinter geht», sagt Maria Köppel. «Manchmal kann ich ihm auch zurufen, dass ich jetzt den Pfleger brauche. So können wir das mit Humor nehmen.»

Die Qualität ist gesichert

Bei der bezahlten Pflege von Angehörigen handelt es sich um ein Anstellungsmodell, das schon seit 2006 existiert. Lange hielt es sich nur in einer Nische. Doch seit wenigen Jahren wird es vermehrt angeboten. Heute arbeiten in der Deutschschweiz rund 15 Spitex-Organisationen mit diesem Modell – sie beschäftigen mehrere hundert Personen in privaten Haushalten.

Eine Frau hilft einer älteren Frau, die neben einer Badewanne sitzt
Legende: Die Zahl pflegebedürftiger Menschen nimmt in der Schweiz zu: Eine Angestellte der Spitex Biel besucht eine betagte Frau in ihrer Wohnung. KEYSTONE/Gaetan Bally

Wenn Laien die Pflege übernehmen, stellt sich die Frage nach der Qualität und Sicherheit. Klar ist, dass sie nicht alles machen dürfen. So bleibt es diplomierten Pflegefachpersonen vorbehalten, Medikamente zu verabreichen, Wunden zu versorgen und Spritzen zu geben.

Die meisten Spitex-Organisationen, die Angehörige anstellen, setzen dafür den Lehrgang zur Pflegehelferin oder zum Pflegehelfer des Schweizerischen Roten Kreuzes voraus. Mit 120 Unterrichtstunden und einem dreiwöchigen Praktikum in einer Pflegeeinrichtung stellt er eine kurze, minimale Ausbildung dar.

Ein Mittel gegen den Pflegenotstand?

Diese sei auch bei der Hälfte des Pflegepersonals in den Pflegeheimen der Standard, sagt Samuel Burri von der Gewerkschaft Unia: «Wenn diese Ausbildung in den Heimen ausreicht, um eine professionelle Grundpflege zu gewährleisten, reicht sie auch für pflegende Angehörige.»

Auf dieses Personal, das in einer Tieflohnbranche eine anspruchsvolle und anstrengende Arbeit verrichtet, ist das Gesundheitswesen dringend angewiesen – im Pflegeheim wie im Privathaushalt. Bis 2040 muss in der Schweiz mit 300'000 pflegebedürftigen Menschen gerechnet werden, ein Drittel mehr als heute.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 24.08.2023, 09:00

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